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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ableben eines alten Verbündeten aus dem Zweiten Weltkrieg die Korken knallen ließen. Der Hohepriester der kommunistischen Welt war schließlich reichlich unbequem geworden. Mit dem Tod von Iossif Wissarionowitsch Stalin am 5. März 1953 setzte eine Veränderung der politischen Großwetterlage ein. Nicht nur die koreanischen Waffenstillstandsverhandlungen schien das einsetzende »Tauwetter« im Ostblock voranzubringen.
    Wie es hieß, belebte der Weggang des vergötterten Sowjetführers auch den Reiseverkehr aus und in die Warschauer-Pakt-Staaten. Der Eiserne Vorhang wurde zwar nicht aufgezogen, aber zumindest etwas gelüpft.
    Gerade als David darüber nachdachte, ob er in dieser günstigen Situation eine Reise nach Moskau unternehmen sollte, um von dort eine Suchaktion nach Golizyn zu starten, wurde er von einer unerwarteten Nachricht überrascht. Sie kam von der Primel. Hinter dem Spitznamen verbarg sich ein scheuer, kapriziöser, hyperaktiver Maler, der seine abstrakten Bilder als Fortführung des Werkes von Piet Mondrian ansah, den er während dessen letzten vier Lebensjahren als Freund und Schüler begleitet hatte. Herschel Goldblum war, nachdem die Nazis an ihm etwas »Entartetes« gefunden zu haben glaubten, in die USA emigriert, unterhielt aber nach wie vor gute Kontakte zur alten Heimat. In der Gelben Festung war Herschel der Deutschlandexperte. Eine lapidare Äußerung der Primel hatte Rubens Aufmerksamkeit erregt. Nun machten beide David mit den unerfreulichen Neuigkeiten bekannt.
    »Was hat er getan?«, keuchte David. Weniger der Umstand, dass der von ihm so verabscheute Mensch ein Buch verfasst hatte, trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht als vielmehr der Titel des Machwerks: Der Wahrheit eine Gasse. Für ihn, den Wahrheitsfinder, war das eine schallende Ohrfeige.
    Die Primel sah Hilfe suchend zu dem gelassen wirkenden Ruben hinüber.
    »Du hast mich schon ganz richtig verstanden, David. Franz von Papen ist unter die Schriftsteller gegangen, oder sagen wir besser unter die Autobiographen.«
    David schüttelte ungläubig den Kopf. »Das verstehe, wer will. Ich meine, Hitler hat in Rudolf Hess während seiner Festungshaft ja noch einen Sekretär gehabt, dem er Mein Kampf diktieren konnte, aber wie bringt man es fertig, in einem Arbeitslager ein Buch zu schreiben?«
    »Ich fürchte, das ist die zweite schlechte Nachricht, die ich für dich habe.«
    »Sag jetzt bitte nicht, Papen befindet sich nicht mehr in Haft.«
    »Er ist wieder auf freiem Fuß. Klingt das angenehmer für dich?«
    David knirschte mit den Zähnen. »Seit wann?«
    »Du darfst dich aber nicht aufregen.«
    »Wie lange läuft er schon wieder frei herum, Ruben?«
    »Seit 1949.«
    David riss die Augen auf »Er wird zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt und ist schon nach dreien wieder frei?«
    »Er hatte offenbar mächtige Fürsprecher«, mutmaßte die Primel.
    »Das kannst du wohl laut sagen! Ich muss sofort nach Deutschland.«
    Ruben und die Primel nickten gleichzeitig. »Das haben wir uns schon fast gedacht.«
     
     
    David reiste Anfang März 1954 über London nach Deutschland ein. Seine Brieftasche enthielt den größten Teil seiner Ersparnisse. Für einen Weltenbummler lächerlich wenig, hatte Ruben mahnend angemerkt.
    In der britischen Hauptstadt gab es ein Wiedersehen mit Choi Soo-wan. Der Historiker hatte Korea mit heiler Haut verlassen können und freute sich überschwänglich seinen »jüngeren Freund wohlbehalten zurückzubekommen«. Auch Indu Cullingham und Abhitha stattete David einen Besuch ab. Die Offizierswitwe war für das einstige Straßenkind zu einer treu sorgenden Pflegemutter geworden. Die eintägige Stippvisite in London hatte David zuversichtlich gestimmt. Mit einem stillen Lächeln auf den Lippen saß er am nächsten Morgen im Flugzeug nach Deutschland.
    Als er mittags in Frankfurt am Main die Gangway hinunterstieg, peitschte ihm kalter Regen ins Gesicht. Ihn fröstelte. Es war wie vor acht Jahren. Ähnliche Gründe hatten ihn schon 1946 nach Nürnberg geführt. Er hoffte damals, die Richter des internationalen Militärtribunals würden Franz von Papens Anteil am abscheulichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte das richtige Gewicht beimessen. Wie inzwischen bekannt, wurde David enttäuscht. Obwohl er den Richtern zugute hielt, dass sie von der Zugehörigkeit Papens zum Kreis der Dämmerung nicht die geringste Ahnung hatten, kam ihm das Ganze wie eine alberne Provinzposse vor.
    Ungeduldig stand er kurze Zeit

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