Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Straßenrand.
»Guten Abend. Können Sie mich verstehen?«, fragte er den Fahrer.
Der Chauffeur nickte. »Natürlich. Sonst wäre ich in dieser Stadt ein armer Mann.«
»Mir scheint, ich habe Ihrem Landsmann da vorne die Fahrgelegenheit vor der Nase weggeschnappt. Das ist mir unangenehm. Bitte halten Sie doch noch einmal bei ihm, dann können wir ihn fragen, ob er mitfahren will.«
Der Fahrer nickte erfreut. Gruppenfahrten dieser Art waren auf den Karibischen Inseln keine Seltenheit, nur die hochnäsigen Amerikaner wollten immer einen ganzen Wagen für sich allein. Der bullige Achtzylindermotor des Chrysler blubberte kurz auf, dann hielt das Taxi erneut. Der Fahrer sprudelte einige spanische Sätze heraus und deutete auf David.
Der lächelte und fügte hinzu: »Unhöflichkeit ist überhaupt nicht meine Art. Wenn wir uns die Tour teilen wollen, steigen Sie ruhig ein.«
Javier Gonzales wollte.
Damit war die erste Hürde genommen. Nun hieß es für David, nicht den Anschluss zu verlieren. Kaum hatte sich das Taxi in Bewegung gesetzt, stellte er sich auch schon als der Österreicher Veit Gladius vor und fragte, was denn im Augenblick in der Stadt so los sei. Er kenne sich in Havanna nicht aus. Gonzales schöpfte keinen Verdacht. Er gab zu, selbst einige Tage von zu Hause weg gewesen zu sein, empfehle aber als originelles und für europäische Touristen gewiss nicht alltägliches Erlebnis den Buena Vista Social Club, den auch er gerade ansteuere. Kubanische Musik vom Feinsten werde dort von ausgezeichneten Musikern geboten: Ruben Gonzales (nicht mit ihm verwandt), Compay Segundo oder Ibrahim Ferrer…
David kannte keinen einzigen dieser Namen, aber nach dem verzückten Tonfall des Kubaners zu schließen musste dieser »Sozialklub« eine Art Konservatorium für musikalisch begabte Heilige sein. Ob man sich anschließen dürfe, fragte er interessiert. Gonzales hatte nichts dagegen einzuwenden. Er schien sich über die unverhoffte Begleitung sogar zu freuen. Der Tourist machte einen kultivierten Eindruck, gerade das Richtige, um sich mal wieder etwas zu produzieren.
In den kommenden zwei Stunden ertrug David die Prahlereien des Kubaners, hörte traumhafte Musik und lernte ein seltsames Getränk aus weißem Rum und Cola kennen – fürchterlich, aber auch anregend. Der ganze Aufwand diente nur einem Zweck: Javier Gonzales’ Vertrauen zu gewinnen. Als der Kubaner allmählich glasige Augen bekam und sein nervtötendes Geschwafel kaum noch auszuhalten war, begann David seine Antennen auszufahren. Er wollte wissen, wie Gonzales über die rechte Szene in Lateinamerika dachte.
Gonzales war im Grunde ein unpolitischer Mensch. Er schätzte geordnete Verhältnisse, auch wenn man ihm das nicht unbedingt ansah. An Fulgencio Batista y Zaldivar störte ihn hauptsächlich, dass der kubanische Diktator zu viele Reichtümer für sich und seine Clique abzweigte, ohne ihn, Gonzales, daran zu beteiligen. Die kürzlich erfolgte Verurteilung von Fidel Castro Ruz zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit hielt er für gerechtfertigt, es gehöre sich schließlich nicht, Kasernen in die Luft zu sprengen. Was er von einem Führer halte, der derlei anarchistische Umtriebe mit starker, aber gerechter Hand ausmerze, fragte David daraufhin.
»Sie meinen, so einer wie Hitler«, erwiderte Gonzales und nahm grinsend einen weiteren Schluck aus dem schlanken Cola-mit-Rum-Glas.
David erschauerte. Wie sehr er diese Gespräche hasste! »Der hat sich ja nun selbst aus dem Rennen geworfen. Und mit ihm haben die Amerikaner auch alle anderen Nazis von der Landkarte gewischt.«
»Alle ist vielleicht zu viel gesagt.« Wieder dieses wissende und zugleich dümmliche Schmunzeln auf Gonzales’ Lippen. Die Wirkung des Alkohols.
»Wenn Sie jetzt von den Befehlsempfängern in Wehrmacht und Waffen-SS reden, Javier – vergessen Sie es. Da ist niemand, der die alten Zeiten zurückbringen kann.«
»Ich wüsste vielleicht doch einen.«
David nippte an seiner braunen Brühe und brummte, ohne aufzuschauen: »Wer soll das denn sein?«
Eigentlich erwartete er nun einen großen Namen. Gonzales sonnte sich in seinem Wissen, kam es doch viel zu selten vor, dass er damit prahlen konnte. Doch anstatt nun großspurig den Hoffnungsträger oder auch geheimen Förderer der aus Großdeutschland herübergeschwappten Flüchtlingsflut zu benennen, sagte er nur: »Gehen wir ein wenig spielen, Veit.«
Es war kurz vor halb elf, als David und der Kubaner ins Spielkasino von Havanna
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