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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Nähe des Hafens wurden die Gassen verwinkelt und eng. Die beiden Wagen rollten an zahlreichen alten Häusern vorbei, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatten, aber mit ihren prächtig verzierten Baikonen immer noch vom einstigen Glanz der Stadt kündeten. Schließlich hielt Gonzales’ Taxi in einer geringfügig breiteren Nebenstraße. David bezahlte den redseligen Fahrer aus seiner recht schmal gewordenen Brieftasche und setzte die Verfolgung zu Fuß fort. Über die Fahrbahn tobten Kinder. Vor den Häusern schnatterten deren Mütter. Es herrschte ein reges Treiben hier, normalerweise ideal für eine Observierung. Als der Kubaner in einem fünfgeschossigen Wohnhaus verschwand, postierte David sich in einem nahe gelegenen Hauseingang. Er überlegte. Irgendwie passte er nicht hierher mit seinem Aussehen und den beiden Reisetaschen. Zwar gab es in Havanna viele Amerikaner, die sich für ihre Dollars ein Stück Karibik kaufen wollten – aber nicht in diesem Viertel Das Amerikanischste im näheren Umkreis waren die buckelrunden Straßenkreuzer von Ford und General Motors. Schon wurde David von einigen Anwohnern begafft, als wäre er ein himmelblauer, Mozart trällernder Straußenvogel. Und dann sprach ihn auch noch jemand an.
    »Norteamericano!«, wollte ein Jugendlicher von vielleicht fünfzehn Jahren wissen.
    Davids Passsammlung hätte ohne weiteres ein Nicken erlaubt, aber er schüttelte den Kopf und erwiderte holpe rig: »Austriaco.«
    »Ich nicht sprechen austriaco«, sagte der dunkelhaarige Bursche in gebrochenem Englisch. »Können Sie verstehen mich?«
    David bejahte.
    »Sie suchen nach Hotel?«
    »Kennst du denn eines?«
    »Ja. Bitte einen Dollar.«
    David seufzte, fischte die Vermittlungsprovision aber bereitwillig aus seiner Hosentasche. »Und jetzt bringe mich bitte ins Hotel. Ist es weit?«
    »Nein, gleich hier.« Der Junge deutete nach links.
    David trat aus dem Hauseingang und stutzte. Kaum zehn Meter von ihm entfernt hing ein Schild mit der Aufschrift Hotel Cruz. Die ehemals goldene Schrift war so verblichen, dass man nicht recht glauben mochte, damit seien noch Gäste anzulocken. Vielleicht finanzierte man sich ja durch eine treue Stammkundschaft. Wenn ja, dann stellte sich die Frage, von welcher Art diese war. Immerhin blieben David die Vorteile der Absteige nicht verborgen. Sollte er ein Zimmer auf die Straße hinaus bekommen, konnte er von dort aus unbeobachtet das Haus Javier Gonzales’ im Auge behalten. Als er sich nach dem Halbwüchsigen umdrehte, dem er diese noble Adresse verdankte, hatte der sich scheinbar in Luft aufgelöst. David schüttelte schmunzelnd den Kopf und betrat das »Hotel Kreuz«.
    Erfreulicherweise verfügte auch der Hotelier, der zugleich Empfangschef und Page war, über einen rudimentären englischen Wortschatz. Das vereinfachte die Preisverhandlungen. Er sagte, sein Haus sei ausgebucht. David zählte nacheinander ein paar Scheine auf den Rezeptionstresen. Bei zehn Dollar war das Feilschen auch schon beendet. Minuten später bezog er sein Zimmer. Es war – gewöhnungsbedürftig. Ihn interessierte jedoch weder der Zustand von Waschraum und Toilette (beides draußen auf dem Flur) noch die schon im unbelasteten Zustand durchhängende Matratze. Nur das verschmierte Fenster war für ihn wichtig.
    Gegen acht Uhr abends verließ Javier Gonzales das Haus. Jetzt trug er ein weißes Hemd, weiße Lackschuhe, einen sandfarbenen Leinenanzug und einen Strohhut. Um das Fenster nicht länger als nötig unbeaufsichtigt zu lassen, hatte David sich nur oberflächlich frisch gemacht und steckte nun ebenfalls in Abendgarderobe. Abgesehen von den Schuhen (er trug braune) hätte man ihn für einen Zwilling der observierten Person halten können.
    Eine Zeit lang lief er hinter Gonzales her und grübelte, wie der Abend wohl weitergehen würde. Vielleicht hatte sich für Gonzales die Reise nach Paraguay ausgezahlt und nun wollte er die Früchte seiner Arbeit genießen. Natürlich wusste David um Havannas Ruf als Amüsierinsel reicher Amerikaner und er befürchtete Schlimmes.
    Gonzales hielt die Hand hoch. Auch David hatte das Taxi bemerkt. Wenn der Kubaner jetzt in den Wagen stieg, verlor er ihn. Kurz entschlossen winkte David ebenfalls dem Lenker des Fahrzeugs zu. Da er vielleicht dreißig Meter hinter Gonzales lief und zudem wie ein zahlungskräftiger Amerikaner aussah, reagierte der Fahrer berufsbedingt schnell. Er setzte das Taxi mit quietschenden Reifen neben David an den

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