Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
unterhaltenden Männer ignorierten ihn. Der korpulente Farmbesucher hieß August Siebrecht, der Name des anderen blieb ungenannt. Sie sprachen deutsch miteinander. Und plötzlich war von Josef Mengele die Rede.
Unwillkürlich versteifte sich David. Der KZ-Arzt von Auschwitz! Simon Wiesenthal hatte ihn den »Todesengel« genannt.
Als sich die beiden Deutschen voneinander verabschiedet hatten, erlebte der vermeintliche Trunkenbold eine wundersame Ernüchterung. David erkundete August Siebrechts weitere Reisepläne und tauschte Telegramme mit Wiesenthal, Bauer und Ruben Rubinstein aus. Innerhalb weniger Stunden wusste er mehr über die zwielichtige Gestalt.
August Siebrecht hatte erste Südamerika-Erfahrungen als AEG-Vertreter in Chile gewonnen, musste sich nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Hitlerdeutschland aber ein gastlicheres Land suchen. Er fand es in Argentinien, wo Juan Domingo Peron, damals noch nicht Staatspräsident, ihn mit offenen Armen empfing. Anscheinend – und hier begann das weite Feld der Spekulation – stand Siebrecht nun sogar in Diensten Perons und versorgte den ehrgeizigen Staatsführer mit Wissenschaftlern, Ingenieuren und anderen Fachkräften, die sich in ihrer entnazifizierten deutschen Heimat nicht mehr recht wohl fühlten.
Das alles hörte sich viel versprechend an. Der Schleuser Siebrecht mochte zu Odessa gehören, vielleicht sogar Papen in Südamerika eine neue Identität verschafft haben oder, ein kühner Gedanke, dem unbekannten Logenbruder als Vermittler dienen. Für David hätte schon ein einziger dieser Verdachtsmomente ausgereicht, um den Deutschen nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Vor seiner Rückkehr nach Buenos Aires wollte Siebrecht einen Abstecher nach Asuncion in Paraguay unternehmen. Eine knappe Woche lang blieb David dem »Einwanderungsspezialisten« auf den Fersen und stieß dabei auf eine dunkle Gestalt namens Javier Gonzales, einen kaffeebraunen, seltsam unproportionierten Mann. Gonzales mochte einen Meter achtzig groß sein, wirkte auf den ersten Blick schlank, war aber mit einem kugelrunden Bauch gesegnet, der alles Fett im Körper des Mannes zu binden schien. Obwohl Gonzales’ Hautfarbe ihn als Nachfahren afrikanischer Sklaven auswies, mussten, den Gesichtszügen und den glatten schwarzen Haaren nach zu urteilen, noch eine ganze Anzahl anderer Volksgruppen seinen Stammbaum kultiviert haben: Indianer, Mitteleuropäer, möglicherweise war irgendwann auch ein Chinese dazwischengerutscht. Namen und Herkunftsland des leicht schmierigen Typen hatte David von einer leutseligen Rezeptionsdame erfahren: Javier Gonzales besaß einen kubanischen Pass.
Der Mann von der Zuckerrohrinsel steckte Siebrecht einen weißen, prall gefüllten Umschlag zu. Es bedurfte keiner hellseherischen Fähigkeiten, um darin ein Bündel Dollarnoten zu vermuten. Vielleicht war Gonzales nur ein Bote. Wenn ja, dann konnte er ihn womöglich zu dem eigentlichen Drahtzieher und Geldgeber der »humanitären Flüchtlingshilfe« führen – laut Fritz Bauer betrieb Siebrecht seine verdeckten Aktionen unter dem Namen dieser Tarnorganisation. Davids nächste Etappe hieß daher Havanna.
Auf dem Flug nach Kuba saß er nur zwei Reihen hinter Gonzales. Die Gefahr der Entdeckung bestand dennoch nicht. Der Kubaner schäkerte mit der Stewardess, bestellte sich Rum und machte auch sonst einen sehr beschäftigten Eindruck. Als David am 2. Juni auf den Fersen von Javier Gonzales in der kubanischen Hauptstadt aus dem Flugzeug stieg, befielen ihn schwere Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Vor dem Flughafen winkte der leicht schwankende Geldbote ein Taxi herbei und David beeilte sich es ihm nachzutun. Mit strahlenden Augen quittierte der Fahrer den Befehl: »Bitte folgen Sie diesem Wagen.«
Die Bewohner der Zuckerrohrinsel nannten ihre Hauptstadt San Cristobal de la Habana. Sie liebten das Leben und man sah es ihnen an. Allein die Verfolgungsjagd geriet zu einer gemächlichen Sightseeingtour. Das schwere Taxi amerikanischer Bauart rollte gemütlich hinter seinem Zwillingsbruder her, hüpfte bei jedem Schlagloch wie ein Fischerboot in der Dünung und hallte wider von den temperamentvollen Ortsbeschreibungen des Fahrers. Durch die heruntergekurbelten Fenster sah David eher ärmlich gekleidete Menschen, die aber gleichwohl lachten, als kannten sie keine Sorgen. Einmal mehr musste er an die weisen Worte denken: Es gibt Arme und Reiche, Letztere sind arme Menschen mit viel Geld.
In
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