Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Verbundenheit
Zvi
Geulah hieß eigentlich Ursula Neumann, war in Berlin geboren und seit 1941 mit Zvi verheiratet. David las den Brief mindestens dreimal durch. Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder hoffnungsvoll sein sollte. Es gab keine neuen Erkenntnisse über den Inhalt der Qumran-Rollen, was ihm angesichts der bevorstehenden Südamerikareise eher gelegen kam. Aber da war noch etwas anderes, das David an Zvis Brief fesselte. Es hatte eine Weile gedauert, bis ihm die versteckten Hinweise zwischen den Zeilen bewusst geworden waren. Der »Bruder« aus Israel erwähnte mit keinem Wort den Namen der Behörde, für die er arbeitete. Warum nicht? Im Vergleich dazu berichtete er aber ausführlich über ein scheinbar unwichtiges Detail: den Exilrussen. Dieser sei »grenzenlos misstrauisch«. Was fürchtete denn der »Zwerg«? Manchmal glaube er, so lauteten Zvis Worte, jeden Tag aufs Neue um das Leben seiner Landsleute kämpfen zu müssen, obwohl er doch nicht mehr im aktiven Dienst der Zahal, der »Israelischen Verteidigungsstreitkräfte«, stehe. Quizfrage, überlegte sich David: Zu was für einem Verein gehörte Zvi?
Ihm fiel nur eine Antwort ein: Der Bursche arbeitet für den Geheimdienst. Und dieser, wie er glaubte, sicheren Erkenntnis schloss sich sogleich eine weitere Frage an: Wer hat schon mehr Interesse an der Bestrafung untergetauchter Nazis als deren Opfer, die Juden? David griff spontan zum Füllfederhalter und formulierte einen Antwortbrief, in dem er sein »Gesuch« erweiterte. Er berichtete kurz über das mit Simon Wiesenthal geführte Gespräch, die bisher gewonnenen Ergebnisse seiner Suche nach Franz von Papen sowie – schon um Zvi einen größeren Anreiz zu geben – über Adolf Eichmann und ließ auch die Gespräche mit Theodor Soucek und einigen anderen »SS-Kameraden« nicht unerwähnt. Davids Schreiben musste sich für einen Zensor wie die Bitte um Unterstützung durch einen befreundeten Journalisten lesen und irgendwie war es das ja auch.
Die Beantwortung der übrigen Briefe seiner Bruderschaft war für David nur Nebenbeschäftigung. In der Hauptsache bereitete er sich beinahe zwei Wochen lang auf den nächsten Einsatz vor. Wie für ein umfangreiches Interview mit einem Prominenten sammelte er zahlreiche Informationen zu Guatemala im Allgemeinen und zur Familie Barrios im Besonderen. Leider ließ sich von Justo Rufino, dem angeblichen Urgroßvater von Manuel, keine Fotografie auftreiben, nicht überraschend, wenn der scheinbar in El Salvador Gefallene tatsächlich zum Kreis der Dämmerung gehörte. Mit Ausnahme von Papen scheuten Belials Logenbrüder die Öffentlichkeit. Aus der miserablen Kopie eines an sich schon schlechten Kupferstichs konnte David wenigstens ein charakteristisches Merkmal des einstigen Präsidenten herauslesen: Justo Rufino Barrios besaß eine auffällig lange Nase, sein Gesicht erinnerte entfernt an das eines Pavians.
Das Ziel des weiteren Vorgehens stand fest: Wenn er in Guatemala tatsächlich einen Angehörigen des Geheimzirkels aufspürte, würde er ihm erstens den Siegelring abnehmen und zweitens versuchen die Namen und Aufenthaltsorte der übrigen Logenbrüder herauszufinden.
Zu Davids Kriegslist gehörte ein Brief, den er Manuel Barrios unter die Nase halten wollte. Ein Siegelabdruck von Ben Nedals Ring würde die »Echtheit« des Schreibens bestätigen. Im Wesentlichen enthielt es eine Warnung vor dem gemeinsamen Feind des Zirkels – David Camden – und die Aufforderung, den Überbringer der Nachricht zur Abstimmung geeigneter Abwehrmaßnahmen sofort zum Logenbruder Belials zu bringen.
Am 16. Juni 1954 landete David mit einer Maschine der Pan American Airlines in Guatemala-Stadt. Im Anflug auf die Hauptstadt des mittelamerikanischen Staates hatte er den Pacaya erblickt, einen nahe gelegenen Vulkan, dessen Schlot fast immer rauchte; auch an diesem Tag. Zum Glück war David nicht abergläubisch, sonst hätte er die dunklen Schwaden leicht als böses Omen deuten können.
Bereits von New York aus hatte er im Mansion San Carlos reserviert. Das kleine, aber feine Hotel befand sich in einer noblen Villa aus dem Jahre 1910. Alle Zimmer waren exklusiv ausgestattet. Gonzales hatte Manuel Barrios als einen vermögenden Mann beschrieben, der auf gepflegte Umgangsformen Wert lege. Eine Absteige wie das Cruz in Havanna kam als möglicher Treffpunkt daher gar nicht erst infrage.
Am Morgen nach der Ankunft griff David auf seinem Zimmer zum Telefonhörer und
Weitere Kostenlose Bücher