Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Franz von Papen als seinen Auftraggeber nennen, allerdings war ihm bei dem Gedanken nicht ganz wohl zumute. Da gab es immer noch dieses Bild in seiner Erinnerung: der einstige Reichskanzler zurückgelehnt auf der Anklagebank in Nürnberg – und ohne Siegelring. Man konnte ihm, wie durchaus üblich, bei der Festnahme alle Wertsachen abgenommen haben. Oder war ihm das Insigne des Kreises anderweitig abhanden gekommen? Sollte dies der Fall und innerhalb des Geheimzirkels bekannt sein, wäre ein von Papen gesiegelter Brief für David, gelinde gesagt, ziemlich unvorteilhaft.
Das Zentrum von Guatemala-Stadt bestand aus einer Mischung von ehrwürdigen Klosterkirchen und vergleichsweise neuen Häusern, die man nach den verheerenden Erdbeben von 1917 und 1918 errichtet hatte. Das Camino Real gehörte zweifellos zu den luxuriösesten Etablissements der Stadt. Das Mansion San Carlos nahm sich dagegen wie ein hübsches kleines Puppenhäuschen aus. Drei Minuten vor acht betrat David die prunkvolle Hotelhalle. Sein Haar war jetzt rot (mit echter Farbe getönt), er trug denselben hellen Leinenanzug, mit dem er in Havanna zum Millionär geworden war. Nahe der Rezeption blieb er stehen und lüpfte zweimal kurz den Hut – das verabredete Erkennungszeichen.
»Herr Schwertfeger?«
Barrios war wie aus dem Nichts hinter David aufgetaucht, für den Sekundenpropheten gleichwohl bei weitem nicht so überraschend wie der Anblick des sonnengebräunten Gesichtes. Der Pavian! David hatte ein Zusammenzucken vorgetäuscht und gab sich nun verwirrt. »Señor Barrios, Sie haben mich aber erschreckt! Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen.«
»Und ich Ihnen, Herr Schwertfeger. Entschuldigen Sie meinen Überfall Bitte lassen Sie uns kurz dort drüben Platz nehmen, damit ich mir das Schriftstück ansehen kann.«
Der Guatemalteke schritt wie ein stolzer Pfau voran: aufrecht, mit steifem Hals, die Brust vor und die Schultern zurück. Er war völlig »unberingt« und kaum älter als fünfunddreißig. Als Logenbruder schied dieser eitle Vogel wohl aus. Sein schneeweißer Maßanzug war tadellos, ebenso der kurze Haarschnitt. Vielleicht einen Meter fünfundsiebzig groß, schlank und mit einem markanten Gesicht ausgestattet, gehörte der schnurrbärtige Lateinamerikaner mit Sicherheit zu den meistumschwärmten Junggesellen der Stadt. David aber war ein Merkmal sofort ins Auge gesprungen: Barrios besaß die gleiche lange Nase wie sein Urgroßvater Justo Rufino.
In einer feudalen Sitzecke wechselte die Legitimation den Besitzer, Barrios überflog schnell die von Ruben Rubinstein schwungvoll in Szene gesetzten Zeilen. Der Künstler besaß, wie der Brief eindrucksvoll belegte, ein bewundernswertes Fälschertalent. Papens Handschrift hatte er anhand der wenigen Buchstaben nachgeahmt, die auf dem in Ben Nedals Sturmpalast erbeuteten Dokument zu finden gewesen waren. Bei der Abschlussformel hatte David allerdings eine Variante gewählt, die An Chung-gun als Willkommensgruß so gedankenlos herausgerutscht war: Sei gegrüßt im Namen der Dämmerung.
Ob diese Phrase in Belials engstem Vertrautenkreis tatsächlich üblich war, wusste David nicht. Wie sich schnell zeigte, schien sie ihre Wirkung jedoch nicht zu verfehlen. Die bis dahin starre Miene Barrios’ entspannte sich etwas.
»Das klingt ernst, Herr Schwertfeger.«
David nickte zustimmend.
»Wer ist der Verfasser dieser Mitteilung?«
»Schauen Sie auf das Siegel, dann wissen Sie es«, antwortete David ausweichend.
Barrios lächelte süffisant. »Sie sind ein vorsichtiger Mann.«
»Ich habe strikte Order, jedes Risiko zu vermeiden. Wann können wir fliegen?«
»Woher wissen Sie…?«
Jetzt grinste David. »Ich bin nicht erst seit gestern in diesem Geschäft. Wenn Sie also mit meiner Legitimation zufrieden sind, dann bringen Sie mich jetzt zu ihm.«
»Zu wem?«
»Ach, kommen Sie, Señor Barrios! Lassen wir doch diese Spielchen. Woher weiß ich denn, ob ich Ihnen trauen kann?«
»Aber ich soll Sie als vertrauenswürdig einstufen!«
»Sehen Sie in meine Augen und sagen Sie mir, ob ich lüge.«
Die Antwort irritierte Barrios. Er blickte tatsächlich in Davids hellblaue Augen, aber schon nach wenigen Sekunden begann er am Boden nach der Reisetasche seines Gastes zu suchen. Als er sie neben Davids rechtem Fuß gefunden hatte, hob er sie auf und sagte: »Sie haben das Siegel und kennen den Gruß. Ich bin sicher, Sie sprechen die Wahrheit.« Als er es wieder wagte, David ins Gesicht zu
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