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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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des Caminito, eines Platzes, umgeben von knallbunten Fassaden. Es hieß, die italienischen Einwanderer hätten sich bei der farblichen Verschönerung ihrer Hütten an den Flaggen der im Hafen liegenden Schiffe orientiert.
    Der besagte Platz war wie jeden Abend voll von Touristen, die das grelle Ensemble als Testmotiv für die Leistungsfähigkeit ihrer Farbkameras schätzten. David umrundete elegant einige Leute, die ihm mit ihren Fotoapparaten den Weg verstellten, und bog in eine kleine Seitenstraße ein. Er seufzte. Einmal mehr kehrte er mit leeren Händen nach Hause zurück. Immer wieder tauchte dieser Papen wie eine Fata Morgana vor ihm auf. Er glaubte den Mann nah vor sich zu haben, bekam ihn jedoch einfach nicht zu fassen.
    Als er die Wohnungstür aufstieß, sah er etwas Helles zu seinen Füßen: einen Briefumschlag. Er hob ihn auf, schlug mit dem Hacken die Tür hinter sich zu und öffnete das Kuvert. Mit einem Mal lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter. Aus dem seidengefütterten Umschlag lugte eine Spielkarte, genauer gesagt ein Kreuz-Ass. Auf der oberen Hälfte stand ein sonderbarer Vierzeiler.
     
    Du bist in Gefahr!
    Reise sofort ab.
    Suche den Hort der Tiara.
    Und vergiss Eichmann nicht!
     
    Unter dem Kreuz prangten nur zwei Worte: Ein Freund.
    David starrte die Karte an und konnte sich nicht bewegen. Ihn fröstelte. In seinem Kopf dröhnte eine simple Frage: Wer bist du? Beinahe schon hatte er diesen »Freund« vergessen, der ihm Ruben Rubinstein geschickt und ihm damit einen unschätzbaren Dienst erwiesen hatte. Damals war es ein Herz-Ass gewesen, jetzt also das Kreuz. Wer war nur dieser Unbekannte, der so viel über ihn wusste? Aus der Schrift selbst, da in Großbuchstaben gehalten, konnte David nichts herauslesen. Zwar kam sie ihm irgendwie vertraut vor, aber er konnte sich auch irren.
    Lange stand er wie erstarrt da, bis seine trägen, wie Sirup dahinfließenden Gedanken endlich wieder in Fahrt kamen. Dieser Freund hatte ihn auf An Chung-guns Fährte gesetzt! Misstrauen war also nicht angebracht. Somit musste er auch die jetzige Warnung ernst nehmen.
    David schoss wie ein Wirbelwind durch die Wohnung. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er einige Habseligkeiten in eine Reisetasche geworfen und war schon wieder auf dem Hausflur. Du bist in Gefahr! Was wollte der Freund damit sagen? Lauerte ihm ein Scharfschütze auf? Hatte er in der Weg-Redaktion mit einem Giftanschlag zu rechnen? Oder…? Er war noch nicht ganz auf der Straße, als seine Sekundenprophetie Alarm schlug.
    »Eine Bombe!« Seine Warnung hallte mehrsprachig durch die Gasse. Er schrie heraus, was vor seinem inneren Auge längst geschehen war. Passanten blieben abrupt stehen. Einige wichen dem »Wahnsinnigen« aus, andere begannen selbst zu laufen. Man konnte ja nie wissen.
    David war noch keine zehn Meter von dem gelb-rosa-orange gestrichenen Wohnhaus entfernt, als dieses in einem gewaltigen Donnerschlag verging. Zuerst jagten Stichflammen durch alle Fenster hinaus, dann zersplitterte die hölzerne Fassade. David rannte einfach weiter. Sein Gesicht war feucht vor Tränen. Er würde sich nie an diese eiskalte, brutale Gewalt gewöhnen, die selbst Unschuldige nicht verschonte. Hoffentlich war niemand im Haus gewesen.

 
    Bilder aus der Vergangenheit
     
     
     
    Der Weg war noch nie der seinige gewesen und jetzt sowieso nicht mehr. Weil er an diesem Abend keinen Flug mehr nach Europa bekam, buchte er sich in die erste Maschine am folgenden Morgen ein. Das Ziel hieß Paris – ein glücklicher Zufall. Er wäre genauso auch nach Chicago geflogen oder nach Hongkong.
    Nach einem langen Transatlantikflug und einem kurzen Zwischenaufenthalt in der französischen Hauptstadt traf er am 6. September 1958, mit dem Zug aus Genf kommend, in der Ewigen Stadt ein. Sein geheimes Bankschließfach in der Schweiz war wieder um einen Siegelring reicher geworden.
    Suche den Hort der Tiara. Für das Rätsel seines »Freundes« hatte David nur eine Lösung gefunden. Die Tiara war die dreifache Krone des Papstes, die seine Macht über Himmel, Erde und Hölle symbolisierte. Der »Hort der Tiara« musste daher Rom sein, genauer noch der Vatikan.
    Bei einer zweitausendsiebenhundertjährigen Stadt fällt ein Vierteljahrhundert kaum ins Gewicht. Das Zentrum Roms sah fast noch genauso aus wie zu jener Zeit, als er mit Rebekka durch die Straßen zwischen Forum und Vatikan spaziert war. Nun hieß es also einmal mehr, eine Stecknadel in einem erschreckend großen

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