Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
ganze Reihe von Berühmtheiten, darunter Howard Hughes, der – angeblich – reichste Mann der Welt, Humphrey Bogart, spätestens seit Casablanca der unwiderstehlichste Mann der Filmleinwand, und Tennessee Williams, als vorjähriger Pulitzerpreisträger der – wie seine Landsleute behaupteten – populärste Dramatiker der amerikanischen Literatur. Außerdem sprach David mit einigen weniger bekannten Personen, die für Publicity durchaus aufgeschlossen, aber nach Henrys Einschätzung aus irgendwelchen anderen Gründen schwierig waren. Dazu gehörte ein affektiertes Filmsternchen namens Norma Jean Mortenson, das einige Monate zuvor ihren ersten Streifen abgedreht hatte und nun unter dem – wie sie wohl meinte – viel versprechenden Signet Marilyn Monroe firmierte. Ein anderer bunter Schmetterling auf Davids Interviewtour hieß John F. Kennedy, ein ziemlich betuchter, ziemlich kranker junger Mann, der gleichwohl in Washington Stadtgespräch war. Der zweiunddreißigjährige Abgeordnete des elften Kongressdistrikts von Massachusetts hielt den Abwesenheitsrekord im Repräsentantenhaus, was wohl nicht von ungefähr mit seiner Passion für das »Girling«, einen von ihm selbst kreierten »Jagdsport«, zu tun hatte.
So gesehen war David mit Henrys Wunschliste gut ausgelastet und froh, wenn er hinter seinem Schreibtisch Platz nehmen und einfach nur aufschreiben konnte, was er in der Welt von Glamour, Geld und Geltungsdrang erlebt hatte. An freien Abenden gönnte er sich hin und wieder sogar etwas Zerstreuung und aß in einem kleinen Lokal in der Bleecker Street. Mit Henry und dessen Frau Clare besuchte er das im letzten Dezember uraufgeführte Musical Kiss me, Kate von Cole Porter, bei anderen Gelegenheiten ein Konzert in der Radio City Music Hall und Theaterstücke am Broadway, aber aus dem Kunstgenuss wollte kein rechtes Festmahl werden, so wie damals, als Rebekka für ihn das Kulturmenü zusammengestellt hatte.
Die Arbeit für Time war ihm immer wichtig gewesen, wenngleich er sich anderen Aufgaben mehr verpflichtet fühlte. Dieser Berufung folgend widmete er sich nun wieder verstärkt der Jagd nach dem Kreis der Dämmerung. Bald schon, das war seine feste Überzeugung, würde sie ihn nach Korea führen. Deshalb bemühte er sich als Phil Claymore um ein Visum zur Einreise in die junge Republik. Im vergangenen August war der Süden der Halbinsel aus der Aufsicht der UN – streng genommen der Vereinigten Staaten – entlassen worden. Der von der Sowjetunion protegierte Norden hatte sich im Monat darauf als Demokratische Volksrepublik Korea, kurz DVK, konstituiert. Die Chancen, eine Einreisegenehmigung für den Süden zu bekommen, standen ungleich besser. Doch was hieß das schon? Sie waren immer noch mehr als bescheiden.
Neben dem Papierkrieg mit koreanischen, amerikanischen und UN-Behörden sah sich David einer kaum weniger schwierigen Herausforderung gegenüber. Er verbarrikadierte sich mit dem von Indu übersetzten Dokumentenstapel in seiner Festung am Pier 40. Sein Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer in der West Street war ungefähr sechzig Fuß breit und hundert lang. Platz hatte er wahrhaft genug in dem Lager- und Bürohaus, das ihm seit mehr als sieben Jahren gehörte. Damals, nachdem keine Hoffnung mehr bestanden hatte, Rebekka jemals wieder zu sehen, war ihm der Gedanke unerträglich erschienen, das für ihre Freilassung vorgesehene Geld einfach für Reisen und den Lebensunterhalt auszugeben. Deshalb hatte er diesen inzwischen völlig verwahrlosten Backsteinbau aus gelb glasierten Ziegeln gekauft. Kaum weniger ansehnlich waren die Kaianlagen auf der anderen Straßenseite. Wenn man den Blick aus den großen Fenstern im sechsten Stock allerdings nur ein wenig weiter schweifen ließ, wurde man mit einer traumhaften Aussicht auf den Hudson River belohnt. Für David war die Zinne seiner »Gelben Festung« der ideale Platz, um sich in Gedanken über Gott und die Welt zu verlieren.
In dem hohen Wohn-Schlaf-Koch-Büro hatten früher einmal getrocknete Kräuter und Gewürze gelagert. Noch immer hing der Duft von Kardamom und Koriander, von Melisse und Muskat in der Luft. Der einzige Schmuck in dem ansonsten kahlen Raum war ein Bild, das er vor Jahren für Rebekka gekauft und Sean Griffith für ihn zusammen mit anderen Habseligkeiten rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges nach New York verschifft hatte. Unter dem Weißen Einhorn saß David nun an einem zerkratzten Schreibtisch, den er im Keller des Gebäudes gefunden und
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