Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
»guten Freund« er den Besuch des bescheidenen, leisen Künstlers aus Deutschland verdankte. Doch Rubinstein wollte ihm den Namen nicht verraten – er selbst sagte, er könne es nicht.
Während der nächsten drei Wochen gab es eine Anzahl weiterer Treffen mit dem Berliner Juden. Und bei jedem fasste David mehr Vertrauen. Umgekehrt war es nicht anders. Ganz sacht und ohne es zu merken, wurde Ruben Rubinstein für David zu einem neuen »Bruder«. Die Idee einer Weltverschwörung kam dem Angehörigen eines seit Jahrhunderten verfolgten Volkes nicht allzu fremdartig vor. Schließlich gab David dem Drängen des neuen Gefährten nach und überließ ihm eine Etage seiner Gelben Festung. Auf eine Bezahlung hätte er gerne verzichtet, aber in dieser Hinsicht ließ Ruben nicht mit sich handeln.
»Ich will keine ausgedrückte und vertrocknete Farbtube als Vermieter haben.« Der Ton zwischen den beiden war in den letzten Tagen vertraulicher geworden.
David lächelte säuerlich. »Vielen Dank für deine punktgenaue Analyse meiner finanziellen Lage. Aber ich möchte keinen Freund ausnehmen.«
»Wer sagt denn, dass du das tust? Ich kann mir inzwischen ein größeres Atelier leisten. Du wirst also mein Geld nehmen. Und nun möchte ich nicht länger mit dir darüber diskutieren, David.« Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Ruben die wahre Identität des Herrn der Gelben Festung gekannt.
Der erwiderte zerknirscht: »Irgendwann kann ich mich nicht mehr im Spiegel anschauen.«
Der Künstler ignorierte den Einspruch. Stattdessen sah er sich in seinem neuen Studio um und fragte mit einem Mal: »Und was ist mit den anderen Stockwerken?«
David kniff das linke Auge zusammen. »Du willst doch wohl nicht etwa eine Künstlerkolonie in meinem Haus unterbringen?«
»Wieso nicht?«
»Vergiss es, Ruben.«
»Du brauchst Geld, David, und ich kann es dir beschaffen.«
»Aber ich brauche auch einen Zufluchtsort, an den ich mich zurückziehen kann. Mir steht nicht der Sinn danach, alle paar Monate meine Sachen zu packen und in einen anderen Winkel der Welt zu fliehen.«
»Ich denke, du willst hier demnächst sowieso eine Nachrichtenagentur eröffnen. Möchtest du die etwa auch geheim halten? Sei mir nicht böse, aber das klingt für mich irgendwie widersprüchlich.«
»Haarspalterei!«
»Nenn mir eine bessere Tarnung, als den Hauswirt für einen Haufen exzentrischer Maler und Bildhauer zu spielen.«
David fiel keine ein. Aber damit waren seine Bedenken noch nicht erschöpft. »Der Publikumsverkehr…«
»Ich könnte zur Bedingung machen, dass in deiner Festung keine Ausstellungen stattfinden. Außerdem habe ich bereits einen sehr rührigen Galeristen an der Hand.«
»Hätte ich mir denken können.« David seufzte. »Also gut. Die ersten vier Geschosse bekommst du. Ich überlasse es dir, die Höhe der Miete festzulegen. Allerdings, eine Bedingung hätte ich doch noch!«
»Ja?«
»Keinen hammerschwingenden Steinmetz oder Blechschmied direkt unter mir.«
Ruben lächelte zufrieden. »Abgemacht.«
Während Ruben sich in der hammerfreien Zone, gleich unter den zwei oberen Etagen, einrichtete, konzentrierte sich David wieder auf seine Jagd. Das Unternehmen im Gelobten Land hatte leider noch keine Früchte getragen. Der Brief an Zvi Aharoni war bisher unbeantwortet geblieben. Unglücklicherweise hatte sich im vergangenen Jahr die Situation in Palästina dramatisch verschlechtert. Davids düstere Befürchtungen waren sogar noch übertroffen worden. Nach Abzug der letzten britischen Mandatstruppen aus Palästina hatte David Ben Gurion am 14. Mai 1948 den Medinat Israel, den »Staat Israel«, kaum ausgerufen, da stürzten sich auch schon die Armeen von sechs arabischen Staaten auf das kleine, scheinbar wehrlose Land. Seitdem tobten unter der Sonne Palästinas erbitterte Kämpfe. Im vergangenen Januar waren sogar die jüdischen Bezirke Jerusalems von Flugzeugen ohne Hoheitsabzeichen bombardiert worden. Zugegeben, die Zeit in Nürnberg hatte für David nicht gereicht, um die Persönlichkeit des jungen Zvi bis in jeden Winkel auszuleuchten, aber eigentlich stand außer Frage, dass der idealistische Exilant sich aus diesem Konflikt nicht heraushalten konnte. David versuchte sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, den jüdischen »Bruder« vielleicht nie wieder zu sehen. Es wollte ihm aber nicht gelingen.
Dank Ruben Rubinstein gab es dennoch Lichtblicke. Ein Vorschuss des Künstlers hatte David das nötige Reisegeld in die Taschen
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