Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
mit Ihnen meint.«
»Ach, tut er das?«
»Ja.«
»Hat dieser Wohltäter zufällig auch einen Namen?«
»Spielen Namen für Sie eine Rolle, Herr Gladius?« Der Hieb hatte gesessen. Zu Davids nicht geringer Verwirrung musste er durch seine Gabe der Wahrheitsfindung feststellen, dass dem Künstler wirklich zu trauen war. Ein Problem blieb: Der Mann wusste zu viel. Möglicherweise hatte Belial ja einmal mehr einen arglosen Menschen zu einer nur dem Anschein nach guten Tat angestiftet.
»Seien Sie mir nicht böse, Herr Rubinstein«, sagte David, »doch mir wäre wohler, wenn ich wüsste, wer Sie mit all diesem Wissen zu mir geschickt hat.«
»Das glaube ich Ihnen gerne. Jener Freund, dem wir beide unser Wiedersehen verdanken, hat mir das hier für Sie gegeben. Er meinte, es könne Sie vielleicht davon überzeugen, dass ich in guter Absicht komme.« Der Maler hatte bei diesen Worten in die Brusttasche seines Mantels gegriffen und hielt nun David eine Spielkarte hin. Französisches Blatt. Ein Herz-Ass. Über dem Symbol in der Mitte stand eine rätselhafte Nachricht.
Mandschurei 1909
Wieder wurde in David eine Saite zum Klingen gebracht. Stirnrunzelnd blickte er in die funkelnden Augen des Malers. »Was hat das zu bedeuten?«
»Mir wurde gesagt, Sie würden es schon herausfinden, möglicherweise mithilfe eines Gelehrten namens Choi.«
Am liebsten hätte David laut aufgeschrien. Wie konnte der Maler nur das alles wissen?
»Wie steht es nun?«, fragte Rubinstein.
David blinzelte. »Wie bitte?«
»Kann ich in Ihrem hübschen Etablissement ein Stockwerk mieten? Ich könnte, wenn Sie es wünschen, auch ein paar Freunde von mir für das wunderbare Licht hier begeistern.«
»Geben Sie mir bitte ein paar Tage Bedenkzeit«, stammelte David. »Ich muss mir erst einen Reim auf unser unverhofftes Wiedersehen machen.«
Rubinstein schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben. »Natürlich. Dann melde ich mich wieder bei Ihnen. Sagen wir, in einer Woche?«
»Ja, gut. Sie kennen ja anscheinend meinen Terminplan.«
Der Künstler setzte sich mit einem Lächeln die Baskenmütze auf. »Nur keine Sorge, Herr Gladius, wir zwei kommen schon zusammen.«
Im Land der Morgenstille
David wusste nicht, ob er in Panik ausbrechen oder sich freuen, ob er fluchtartig das Land verlassen oder auf Rubinsteins Angebot eingehen sollte. Wenn Belial ihn wirklich in New York aufgespürt hatte, warum sollte er dann dieses Spiel mit ihm treiben? Ebenso gut hätte ihn auch ein professioneller Killer vor dem Haus abpassen können oder ein ambitionierter Bombenwerfer.
Je länger David darüber nachdachte, desto positiver erschien ihm diese überraschende Begegnung. Ausgerechnet ein Jude, ein Verfolgter wie Rebekka, war zu ihm gekommen. Sie hatte einst Mitleid, aber auch Bewunderung für Rubinstein empfunden und Davids Freundlichkeit mochte ihm damals Trost und Hoffnung gegeben haben. Das alles waren Gründe für eine gewisse Anhänglichkeit, vielleicht sogar für Dankbarkeit, aber sicher kein Anlass für hinterhältiges Taktieren…
Noch am Tag der beunruhigenden Begegnung schickte David ein Telegramm nach London. Es war an Choi Soo-wan adressiert und bestand nur aus einem einzigen Satz.
lebte unser unbekannter 1909 in der mandschurei? – stopp –
Zu Davids Überraschung kam die Antwort schon einen Tag später. Sie war nur unwesentlich länger.
prinz ito hirobumi wurde am 26. Oktober 1909 von dem koreanischen nationalisten an chung-gun in harbin erschossen –stopp – fortsetzung folgt – stopp –
Das Telegramm aus London wühlte düstere Erinnerungen auf. Kein Wunder, dass sein Gedächtnis ihm den Dienst verweigert hatte. Als der vielmalige japanische Premierminister im mandschurischen Harbin ermordet wurde, war David erst neun Jahre alt gewesen. Yukio Ito, der Neffe des Premiers und Yoshis Vater, hatte die bedrückende Botschaft in einer regnerischen Nacht nach New Camden House gebracht.
Er musste so schnell wie möglich nach Korea, so viel stand für David fest. In Choi Soo-wans Telegramm war von weiteren Informationen die Rede gewesen. Die würde er auch dringend benötigen, machte sich David klar. Denn wenn es in ganz Korea nur zweihundertfünfzig verschiedene Familiennamen gab, dann glich seine Aufgabe der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Davids Jagd nach dem Kreis der Dämmerung war Dank Ruben Rubinstein regelrecht beflügelt worden. Natürlich wollte er wissen, welchem
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