Der Kreuzfahrer
schloss die Augen, als könnte ich dadurch die Scham und Erniedrigung aus meinem Geist tilgen. Ich malte mir aus, wie Sir Ralph Murdac um sein Leben bettelte, wie er auf der Folterbank blutend um Gnade schrie, und fühlte mich schon ein wenig besser, als ich rasche Schritte herankommen hörte. Ich öffnete die Augen und sah einen schäbig gekleideten jungen Dienstboten vor mir stehen. Der Bursche streckte mir keuchend die flache Hand hin. Auf seiner Handfläche lagen drei schmuddelige Silberpennys.
»Herr, b-b-bitte um Verzeihung, Herr, aber das ist Euer Silber«, sagte der Junge.
Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob das irgendeine weitere Demütigung sein sollte, die Murdac und sein neuer königlicher Herr sich ausgedacht hatten. Dann betrachtete ich den Jungen noch einmal, das ernste Gesicht, die zerschlissene Kleidung, die leicht zitternde ausgestreckte Hand, und erkannte, dass das nicht sein konnte. Er war ein recht ansehnlicher Kerl, etwa elf Jahre alt, groß und kräftig für sein Alter, mit hellbraunem Haar und braunen Augen. Ich starrte ihn noch einen Augenblick lang an und sagte dann barsch: »Du kannst es behalten, Junge.«
Er wirkte bestürzt. »Aber, Herr, das ist Euer Geld. Der Prinz hat es Euch gegeben. Ein k-k-königliches Geschenk.«
»Ich will es nicht haben«, erwiderte ich knapp. Dann wurde mir bewusst, dass er nichts für meine öffentliche Demütigung konnte und ich keinen Anlass hatte, grob zu ihm zu sein. Also lächelte ich und sagte: »Kauf dir davon etwas auf dem Markt, eine feine Pastete oder zwei, oder ein gutes neues Messer …« Er blickte zweifelnd drein, und ich fragte mich, ob er vielleicht ein wenig schwer von Begriff sei. Jedenfalls war ich mit meiner Geduld am Ende, setzte mich wieder auf meinen Steinquader, schloss die Augen und widmete mich meinen düsteren Gedanken.
»Bitte verzeiht meine D-D-Dreistigkeit, Herr«, sagte der Junge und riss mich aus einem köstlichen Tagtraum, in welchem Murdac an den Daumen aufgehängt über einer Schlangengrube baumelte. Ich öffnete die Augen. Der Bursche stand noch da, doch seine Arme hingen nun lose herab, und das Silber, fiel mir auf, war verschwunden. »Bitte verzeiht die Frage, Herr, aber hat Seine Königliche Hoheit gerade gesagt, dass Ihr dem Earl of Locksley dient? Den die Leute Robin Hood nennen?« Sein Gesicht glühte vor Aufregung, und er schien sein Stammeln überwunden zu haben.
»Das stimmt, ich habe die Ehre, dem Grafen zu dienen«, antwortete ich und lächelte wieder. Ich kannte Jungen wie ihn, ich war ihnen schon überall im Land begegnet. Er hatte die Lieder und Legenden über Robin Hood und seine Bande von Gesetzlosen gehört und war gebannt von diesen wildromantischen Geschichten: eine fröhliche Bande von Brüdern, die auf Waldlichtungen aßen, unter den Sternen schliefen und die Gesetzeshüter narrten. Ich hätte ihm ein paar Geschichten erzählen können, die seine Meinung über Robin geändert hätten – von blutigen Menschenopfern, von dreistem Diebstahl und Erpressung und von grausig verstümmelten Feinden. Doch wie üblich verzichtete ich darauf.
»Ich möchte um die Ehre bitten …«, sagte der Junge und schluckte, »… ihm dienen zu dürfen. Und ich weiß etwas, das ihn b-b-betrifft.«
»Was weißt du?«
»Sir Ralph Murdac will Euren Herrn tot sehen.«
»Das ist nichts Neues, mein Junge – Sir Ralph und Robin of Sherwood waren schon Feinde, ehe du auf die Welt kamst«, sagte ich wegwerfend und schloss die Augen wieder.
»Aber Sir Ralph hat bekanntmachen lassen, dass er demjenigen, der ihm den Kopf des Grafen bringt, einhundert Pfund gutes teutsches Silber gibt«, sagte der Junge.
Ich riss die Augen auf. Ich war verblüfft, sprachlos: Nie hätte ich geahnt, dass Murdac reich genug war, um so viel Geld für den Tod eines einzigen Mannes zu bezahlen. »Wo hast du das gehört?«, erkundigte ich mich.
»Ich habe gehört, wie Sir Ralph dem Hauptmann der Burgwache gesagt hat, dass er seinen Männern von der Belohnung erzählen soll.« Der Junge sah mich hoffnungsvoll an. »Wenn Ihr das dem Grafen sagt, wird er mir vielleicht wohlgesinnt sein und mich in seine Dienste nehmen«, fuhr er fort. Sein Blick flehte mich an.
Ich betrachtete ihn mit neuen Augen. Vielleicht war er doch nicht so schwer von Begriff. Und da kam mir eine verwegene Idee – eine Möglichkeit, herauszufinden, aus was für Holz dieser Junge geschnitzt war, zugleich mir selbst ein wenig Genugtuung zu verschaffen, ein Unrecht
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