Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
Vom Netzwerk:
Gestalt sei der persönliche Trouvère von Robert of Locksley«, fuhr Murdac lauter fort. »Befehlt ihm, etwas zu singen, Hoheit, zu unser aller Unterhaltung.« Er blickte sich unter den versammelten Höflingen um und erntete kriecherische Zustimmung. Der große Mann mit der weißen Haarsträhne lächelte hämisch, als er merkte, wie unangenehm ich diesen Vorschlag fand, und zeigte dabei große, spitze gelbe Zähne.
    »Wie?«, fragte Prinz John. »Ach ja. Ein guter Einfall. Ja, sing uns etwas vor, Bursche.«
    Ich stand tropfend, durchgefroren und erschöpft vor ihnen, ohne meine Fidel oder sonst ein Instrument, die Gedanken voller Mordlust, und dieser königliche Idiot verlangte von mir, zu singen?
    »Mylord, ich bin recht nass geworden – wenn ich mich kurz zurückziehen und umkleiden dürfte …«
    »Keine faulen Ausflüchte, Bursche«, fiel Murdac mir ins Wort, und seine hellen Augen glitzerten boshaft. »Seine Hoheit hat dir befohlen, zu singen. Also singe, Bürschchen, singe!« Er klatschte in die Hände und beobachtete mich mit einem schmalen, giftigen Lächeln.
    Ich starrte ihn an, und vor kochendem Hass platzte mir beinahe der Kopf. Er war dünner, als ich ihn zuletzt gesehen hatte, das Gesicht faltiger, aber seine Kleidung war kostspieliger – schwere, schwarze Seide mit Zobelbesatz, und um den Hals trug er eine mächtige Goldkette, an deren Ende ein gewaltiger Rubin baumelte. Diesen Edelstein kannte ich gut. Meine Fingerknöchel traten weiß hervor, als ich dicht über dem Heft meines Dolches die rechte Hand zur Faust verkrampfte, und ich glaube, ich war nie näher daran, mein Leben einfach wegzuwerfen.
    Doch dann wurde mir klar, dass ich nicht nur seinen Tod wollte. Ich wollte ihn nicht hier und jetzt niederstechen und mit meinem eigenen Kopf dafür bezahlen. Nein, ich wollte ihn vorher demütigen, so wie er mich in jenem stinkenden Kerker gedemütigt hatte. Er sollte um Verzeihung betteln für den Tod meines Vaters, sollte um Vergebung flehen, weil er mich gefoltert und meine Freunde ermordet hatte … Also lockerte ich die Fäuste und verschränkte die zuckenden Finger hinter dem Rücken. Dann begann ich zu singen.
    Ich kann mich wahrhaftig nicht daran erinnern, was ich sang, vermutlich eine der Cansons, die ich damals schon komponiert hatte und auswendig kannte. Mein müdes altes Hirn hat die Erinnerung daran getilgt – die Scham ist dazu durchaus in der Lage. Nach dem ersten Lied ließen sie mich ein weiteres vortragen, obwohl mir die Zähne so heftig klapperten, dass gewiss niemand die Worte verstehen konnte. Und noch eines. Schließlich schien Prinz John seines grausamen Spielchens müde zu werden und entließ mich. Ich verneigte mich tief, und vor Wut und Demütigung schoss mir das Blut in die Wangen, als der Prinz nach seinem Beutel griff, kurz darin herumkramte und dann ein paar Silberpennys vor mir auf den Boden warf. Der fuchsgleiche Mann lachte laut auf. Das war eine bewusste Beleidigung. Ein Trouvère durfte wohl eine diskrete Gabe von einem zufriedenen Burgherrn erwarten, doch das Geld auf den Boden zu werfen wie für einen Purzelbäume schlagenden Akrobaten oder einen bettelnden Straßenmusikanten, das war schlimmer als ein Schlag ins Gesicht.
    Ich verneigte mich ein zweites Mal und ignorierte die Münzen, die in den schmuddeligen Binsen zu meinen Füßen schimmerten, zwischen abgenagten Knochen, Hundehaaren und den uralten Schmutzschichten der Halle. Ich wandte meinen drei Peinigern den Rücken zu und verließ den Saal.
    »Was für ein seltsamer Bursche!«, hörte ich Prinz John mit seiner rauhen Stimme krächzen, als ich mich den großen eichenen Türflügeln näherte. »Habt ihr das gesehen? Er hat mir den Rücken zugekehrt. Ich sollte ihn auspeitschen lassen.«
    »Er stammt von niederem Gesinde ab, wisst Ihr?«, bemerkte Murdac laut. »Keine Erziehung, keine Manieren.«
    Ich stolperte beinahe über die Schwelle in meiner Hast, außer Hörweite zu kommen.
    »Ein Geächteter obendrein«, fuhr das verfluchte kleine Wiesel fort. »Zumindest, bis Euer königlicher Bruder ihn begnadigte. Ich hatte ihn wegen seiner Vergehen sogar einmal im Kerker gefangen gesetzt, aber der aalglatte Halunke hat sich irgendwie dort hinausgewunden. Er ist entflohen …«
    Endlich war ich durch die Tür und hinaus, auf den riesigen Burghof von Nottingham Castle. Mir zitterten die Beine, und als ich einen steinernen Aufsitzblock entdeckte, sank ich unter dem finsteren, bleigrauen Himmel darauf zusammen und

Weitere Kostenlose Bücher