Der Kreuzfahrer
ihm lassen – schneller als ich, dabei war ich vollkommen gesund und bei Kräften. Zehn Herzschläge später hatten wir hundert Schritt zurückgelegt und erreichten eine Kreuzung dreier Straßen. Inzwischen hatte ich mit meinem Geschrei aufgehört – erstens ging mir die Puste aus, und zweitens wollte ich nicht, dass irgendwer William tatsächlich aufhielt. An der Kreuzung blieb William abrupt stehen und huschte unter das Vordach einer Kirche. Ich folgte ihm hinein, übergab ihm schnell den Rubin und spazierte hinaus auf die Mitte der Kreuzung. So spät am Nachmittag herrschte reger Betrieb, und auf den Straßen wimmelte es von Ochsenkarren, Reitern, fahrenden Händlern mit hohen Kiepen, Hausfrauen mit ihren Körben, und ich sah sogar einen Viehhändler, der eine große Herde Schafe vor sich hertrieb. William verlor sich in der Menge und ging flott, aber ohne sichtbare Hast die Straße nach links entlang.
Ich blickte mich um: Die beiden Wachen kamen angerannt. Ich deutete auf die rechte Querstraße und rief: »Da ist er! He, ihr da vorne, haltet den Dieb!«, als sähe ich William ein Stück vor mir. Dann rannte ich los. Ich lief die falsche Straße entlang, schrie und brüllte und verbreitete allgemeine Aufregung. Leute hielten inne oder ließen ihre Sachen stehen und rannten mit, um mir zu helfen. Dann hatte ich Glück, denn das gehörte nicht zu unserem Plan: Ein Stück weiter die Straße entlang sah ich einen Jungen etwa in Williams Alter. Ich brüllte: »Da ist er, das ist der Dieb!«, und drängte meine Helfer, ihn zu fassen, während ich mich in gespielter Erschöpfung an eine Hauswand sinken ließ. Der bedauernswerte Junge sah eine Schar Männer auf sich zustürmen, die »Dieb!« brüllten, und flitzte davon wie ein aufgescheuchtes Kaninchen. Sobald das Rudel der Verfolger an mir vorüber war, schlüpfte ich in die nächste Seitengasse. Ich verbarg den auffälligen blauen Umhang, den Verband und den Schlapphut unter einem Haufen feuchtem Stroh und bemühte mich, mir auf dem Weg zu Alberts Haus mit der bloßen Hand und etwas Spucke die falschen Bartstoppeln vom Gesicht zu reiben.
»Da ist euch ein dreistes Stück gelungen«, sagte Robin. Er lachte leise über meine Geschichte, doch seine Erheiterung war nichts im Vergleich zu Little Johns Reaktion: Sein Hünenlachen donnerte durch die ganze Halle und erregte die Aufmerksamkeit noch des letzten von Robins Männern. Tränen liefen ihm über die Wangen, während er dem stämmigen Owain ausgelassen auf die Schulter klopfte. Sogar Sir James de Brus schenkte mir ein kühles Lächeln.
»Und hast du den Rubin bei dir?«, fragte Robin.
»Ich habe ihn«, antwortete ich, öffnete meine Satteltasche und holte einen in Tücher gewickelten Klumpen heraus. Robin sandte eine Dienerin nach Marie-Anne, und während die Gemahlin meines Herrn zu uns herüberwatschelte, begleitet von ihrer Dame Godifa, wickelte ich das Bündel auf und enthüllte die Früchte meiner Dieberei.
»William muss die versprochene Anstellung in Eurem Haushalt bekommen«, erinnerte ich Robin.
»Gewiss, gewiss, jemanden mit einem solchen Talent für Schandtaten kann ich immer gebrauchen«, sagte er, doch sein Blick war auf den großen Edelstein geheftet. Im Dämmerlicht der Halle schien er von einem dämonischen Glanz erfüllt, einem boshaften Glitzern, als sähe man einen halb geronnenen Tropfen von des Teufels Blut.
»Dies gehört Euch, Mylady«, sagte ich, hob den Edelstein an der leuchtend goldenen Kette empor und überreichte ihn Marie-Anne mit ausgestreckten Händen. Sie nahm ihn jedoch nur widerstrebend an. Dann wandte sie sich Godifa zu, einem schlanken Mädchen, das mit beinahe zwölf Jahren kurz davorstand, zur Frau zu werden. Godifa war bei Robin Hoods Gesetzlosen aufgewachsen und diente nun Marie-Anne als Zofe, Gesellschafterin und Freundin.
»Das ist dein Schmuck, Goody. Du erinnerst dich doch gewiss daran?«, fragte Marie-Anne und legte dem Mädchen die goldene Kette um den Hals. »Er gehörte einmal deiner Mutter, und du warst so freundlich, ihn mir zu leihen, doch ich habe ihn dummerweise verloren, als ich vergangenes Jahr Sir Ralphs Gefangene war.« Sie lächelte das Mädchen an. »Ich finde, jetzt würde er dir gut zu Gesicht stehen – du bist alt genug dafür.«
Goody blickte auf das glänzende Gold an ihrem Hals hinab und auf den riesigen roten Edelstein, der zwischen den Knospen ihrer Brüste ruhte. Dann blickte sie glücklich strahlend zu mir auf. »Was meinst du,
Weitere Kostenlose Bücher