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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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Natürlich glaubte ich damals, wie auch bis zum heutigen Tag, dass alle Juden der ewigen Verdammnis anheimfallen müssen, weil sie ihre Herzen gegenüber Jesus Christus, Unserem Herrn, verschließen. Doch ich war mir selbst im tiefsten Herzen sicher, dass Reuben ein guter Mensch war, ein freundlicher, gütiger Mann, Robins treuer Freund, und ich sah keinen Grund dazu, ihn oder sein Volk zu hetzen und zu ermorden.
    Ich drehte mich nach Robin und Reuben um. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich leise, außer Hörweite am anderen Ende der Halle. Ich wusste, was Robin zum Mord an vielen unschuldigen Juden zu sagen haben würde: Er hatte nichts für religiöse Dogmen übrig, und es wäre ihm vollkommen gleichgültig, wenn tausend Juden – oder Christen – starben, sofern er keine persönliche Beziehung zu ihnen hatte. Doch Reuben war sein Freund und Geschäftspartner, und Robin würde ihn mit seinem eigenen Leben gegen jeden Angreifer verteidigen, sei er Christ, Jude, Heide oder Sarazene.
    Während ich zu den beiden hinüberschaute, bemerkte ich etwas Seltsames. Reuben zeigte Robin ein kleines Päckchen, das weißliche Kristalle enthielt. Robin hob einen auf und schnupperte daran, ehe er ihn Reuben zurückgab. Reuben nahm den kleinen, gelblich weißen Klumpen mit einer Silberzange und hielt ihn an die Flamme einer Kerze auf dem Tisch. Es knisterte, weißer Rauch explodierte und bildete eine kleine Wolke über dem Tisch, und wenige Augenblicke später drang der Geruch bis zu mir – ein üppiger, süßer Duft wie von brennenden Blumen, der mir vertraut war. Ich wusste, dass ich ihn schon in völlig anderem Zusammenhang gerochen hatte. Aber wo? Es wollte mir nicht einfallen.
    Robin sah, dass ich ihn und die rasch verfliegende Rauchwolke beobachtete, und warf mir einen finsteren Blick zu. Ich wandte mich ab und vertiefte mich wieder in den herrlichen Gobelin. Worum handelte es sich bei dieser geheimnisvollen, duftenden weißen Substanz, und weshalb interessierten Reuben und Robin sich so dafür?
    Etwa eine Viertelstunde später rief Robin mich zu sich. Das Päckchen mit den weißen Kristallen war verschwunden, vermutlich in den Falten von Reubens weiter Robe, und Robin und Reuben drückten einander feierlich die Hand.
    »Also ist es abgemacht«, sagte Robin. »Alan, wir müssen noch etwas erledigen, ehe wir heimreiten. Wir werden Reuben und Ruth auf die Burg geleiten. Dort sind sie in Sicherheit, bis dieser religiöse Irrsinn abgeflaut ist.«
    Während Reuben seine Pergamentrollen, Rechnungsbücher und Wertsachen einsammelte und Ruth Essen und Kleidung einpackte, starrte ich aus einem Fenster im zweiten Stock. Ich hatte einen guten Ausblick auf die breite Straße draußen und auf das Stadttor unten an der Brücke über den Foss. Weit hinter der Stadtmauer konnte ich das Kloster in der Abendsonne glänzen sehen. Während ich es bestaunte, schlugen die großen Glocken der Kathedrale die Vesper, und sogleich stimmten alle anderen Kirchtürme Yorks mit ein. Der goldene Abend hallte wider von der Musik Gottes, die alle zum Abendgebet rief, und der Klang erfüllte auch mein Herz. Wie konnte jemand mit diesem himmlischen Getöse in den Ohren an Hass und Tod denken?
    »Los doch, Alan, steh nicht herum und träume, sonst schließen sie noch das Tor!«, rief Robin von unten. Er hielt die Zügel unserer Pferde und eines zusätzlichen Packpferdes für Reubens Besitztümer, und ich hastete die Treppe hinunter und schloss mich meinen Freunden an.
    Wir erreichten das Torhaus, als der Wächter gerade begann, die mächtigen hölzernen Torflügel zuzuschieben. Mit einem Brummen und einem finsteren Blick auf Reuben und Ruth, die zwar in Umhänge gehüllt, aber dennoch irgendwie auf den ersten Blick als Juden zu erkennen waren, ließ er uns passieren. In der Stadt hielten wir uns südwestlich in Richtung der Burg, und ich stellte mit wachsender Bestürzung fest, dass noch immer viel mehr Menschen auf den Straßen waren als zu dieser Stunde üblich. Einige schrien Reuben und seiner Tochter Beleidigungen zu, doch mich beunruhigte viel mehr, dass andere sich an unsere Fersen hängten. Wir ritten im Schritt die schmalen, dunkelnden Straßen entlang und hatten bald ein hässliches Gefolge angezogen. Ich legte die Hand an das Heft meines Schwertes, doch Robin fing meinen Blick auf und schüttelte den Kopf.
    Ein wütender Bursche in einem ärmlichen rotbraunen Kittel hob sein Gewand, machte eine obszöne Geste und stieß

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