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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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und her, verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wartete mit breitem, irrem Lächeln, während wir auf ihn zudonnerten. Zweifellos hatte er vor, sich im letzten Augenblick zu ducken und einem der Pferde die Axt ins Bein zu treiben, damit dessen Reiter aus dem Sattel geschleudert würde. Doch unvermittelt veränderte sich sein Gesichtsausdruck – das Lächeln zerfloss, seine Miene zerrann wie eine Kerze, die zu dicht am Feuer steht. Im selben Moment bemerkte ich den schwarzen Griff eines Wurfmessers, der aus seiner breiten Brust ragte. Er sank auf die Knie, die Axt klirrte zu Boden, und schon waren wir an ihm vorbei. Links von mir erschien jemand mit einem Spieß und stocherte mit der rostigen Spitze nach mir, doch ich wischte das Ding mit dem Schwert beiseite und stach mit meinem Dolch zu. Robin machte mühelos einen Mann nieder, der einen mächtigen, uralten Zweihänder schwang, und dann galoppierten wir durch das Tor und erreichten den sicheren Burghof von York Castle.
    Keuchend zügelten wir unsere Pferde inmitten des weiten Hofes – und erkannten augenblicklich, dass auch hier etwas nicht stimmte. Keine berittenen Wachen empfingen uns, fragten nach unserem Begehr. Ja, es war überhaupt kaum jemand hier, und die wenigen Leute, die wir sahen, waren wie Dienstboten gekleidet. Wo war Sir John Marshal? Wir hatten erwartet, dass gut ausgebildete Soldaten die Tore hinter uns verriegeln würden, entschlossen, die Burg gegen den rasenden Mob zu verteidigen. Doch die Festung schien beinahe verlassen. Ich wandte mich nach dem Tor um. Es stand noch immer weit offen, und eine Front wütender, brüllender Bürger nahm die gesamte Straße ein, gefolgt von Hunderten weiteren, die rasch heranstürmten. Fackeln waren entzündet worden, und in ihrem flackernden Schein erhaschte ich einen Blick auf ein schmuddeliges weißes Gewand in den vordersten Reihen der Menge. Dann zog ich den Kopf ein, als ein Hagelschauer aus Stöcken, Pflastersteinen und sogar ein paar Pfeilen in unsere Richtung flog.
    »Zum Turm, zum King’s Tower«, keuchte Reuben. »Die anderen haben sich dort verschanzt.«
    Ich blickte nach rechts zu dem grimmigen, trutzig aufragenden King’s Tower, dem rechteckigen hölzernen Bergfried von York. Und schon jagten wir alle darauf zu. Der Turm war auf einem Erdhügel von fast dreißig Fuß Höhe erbaut worden, und die massiven Wände waren weitere zwanzig Fuß hoch. Er wirkte solide genug, um bis zum Jüngsten Gericht uneinnehmbar zu bleiben, und als wir über die Rampe aus fest gestampfter Erde vom Burghof zum Turm hinaufritten, fühlte ich mich schon ein wenig sicherer. Wir führten die Pferde die steilen hölzernen Stufen hinauf, das letzte Hindernis vor dem Turm, und durch die schmale, dicke, eisenbeschlagene Tür nach drinnen. Dort empfing uns ein großer, fast kahlköpfiger Mann mit einer Art schwarzer Mütze auf dem Kopf, einem gütigen, faltigen Gesicht und grauem Bart.
    »Schalom aleichem«,
sagte der alte Mann. »Ich bin Joshe von York, und Ihr seid hier hochwillkommen.« Die dicke Eichentür schlug hinter uns zu und schloss das zornige Summen der Welt aus, und der starke Riegel wurde mit einem beruhigenden Rumpeln vorgeschoben.

Kapitel 4
    I m Turm drängten sich die Juden von York – von tatterigen alten Weibern über kraftstrotzende junge Männer bis hin zu Säuglingen in den Armen ihrer Mütter. Mindestens hundertfünfzig Seelen mussten auf den drei Stockwerken des Wehrturms zusammengequetscht sein wie Fische im Pökelfass. Und zwei Christen. Na ja, ein Christ und Robin. Ich hatte noch nie so viele Juden auf einmal gesehen, und es war eine merkwürdige Erfahrung. Sie sprachen Englisch oder Französisch miteinander, verfielen jedoch immer wieder kurz in eine andere, kehlige Sprache, die ich nicht verstand. Nur wenige von ihnen hatten Waffen mitgebracht, als sie zum Turm geflohen waren, und das kam mir seltsam vor bei Menschen, die sich von Gewalt bedroht sahen. Es spielte zum Glück keine Rolle, denn im Bergfried lagerten reichlich Waffen. Und sie stritten sich ständig, um alles. Noch merkwürdiger war, dass sie eben noch ihre Freunde oder Verwandten angeschrien hatten, sich im nächsten Augenblick jedoch umarmten und küssten, und alles war wieder ruhig. Und sie wurden nie handgreiflich, ganz gleich, welche Beleidigungen sie einander an den Kopf warfen. Ich war bass erstaunt. In einer Gruppe von Christen hätte allein der aggressive Tonfall ihrer Auseinandersetzungen dazu geführt,

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