Der Kreuzfahrer
Abrahams Schoß ruhen, dass ich es nicht über mich bringe, sie zu züchtigen.« Er führte uns beide zu einer großen Tafel in seiner Halle und bat uns, Platz zu nehmen. Für ein Stadthaus war das Gebäude riesig, und ich fragte mich, ob die Entscheidung der Bürger von York, die Juden nicht innerhalb ihrer Mauern zu dulden, Reuben und seinen Leuten nicht in gewisser Weise wohlgetan hatte. Verglichen mit den beengten Häuserreihen in der Stadt, hatten die Juden zwischen der Stadtmauer und dem Fluss Foss reichlich Platz, um große, solide Häuser mit weitläufigen Gärten zu erbauen. Dennoch war die Stadtmitte von hier aus in einer Viertelstunde zu Fuß zu erreichen.
»Dies sind schlechte Zeiten, um als Jude in einem christlichen Land zu leben, mein junger Freund«, sagte Reuben mit entschuldigendem Lächeln, als ich ihm sein Wurfmesser zurückgab. Es hatte gut einen Fingerbreit tief in dem Eichenpfosten gesteckt, und ich hatte meine liebe Mühe gehabt, es aus dem Holz herauszuziehen. Für einen so dünnen Mann war Reuben außerordentlich stark, das wusste ich, doch dass er ein Messer so weit und mit solcher Kraft werfen konnte, erstaunte mich dennoch. Er ließ das Messer zwischen den Falten seines Gewandes verschwinden und schenkte Robin und mir Wein ein.
»Du hast gehört, was uns in London widerfahren ist?«, fragte er Robin. Mein Herr nickte. »Eine üble Sache«, entgegnete er ernst. Anlässlich der Krönung im September des vergangenen Jahres hatte eine jüdische Delegation dem neuen König Richard ein kleines Vermögen in Gold als Geschenk überbringen wollen. Durch ein Missverständnis am Eingang zum Palast von Westminster war es zu einem Aufruhr gekommen, und die jüdische Delegation war von Richards Palastwachen niedergemetzelt worden. Schlimmer noch: Die Ausschreitungen hatten sich durch die ganze Stadt verbreitet wie eine Seuche des Hasses, und viele Juden waren durch die Straßen Londons gehetzt und gnadenlos ermordet worden.
»Aber der König hat danach per Dekret verkünden lassen, dass dein Volk unter seinem persönlichen Schutz steht«, sagte Robin. »Beruhigt euch das nicht?«
»Der König weilt in Frankreich«, entgegnete Reuben düster. »Und bald wird er die Reise nach Outremer antreten. Er schert sich nicht um uns – wir sind nichts weiter als seine Schafe, die er nach seinem königlichen Belieben scheren kann. Gestern Nacht kam der Mob aus der Stadt und brannte das Haus meines Freundes Benedict nieder. Er ist tot, wisst ihr? Er starb auf dem Rückweg von London, nachdem er bei dem Aufruhr in Westminster verwundet worden war. Doch jetzt sind auch seine Frau und die ganze Familie tot, aus dem Haus gezerrt und auf der Straße zerhackt wie Schlachtvieh. Sein Schatz wurde gestohlen, die Aufzeichnungen über seine Schuldner sind vernichtet. Ich fürchte, wenn es dunkel wird, sind wir – Ruth und ich – die Nächsten. Aber eher töte ich sie eigenhändig, als dass sie einem christlichen Mob in die Hände fällt.« Er sprach beinahe emotionslos, doch in seiner Wange zuckte ein Muskel, der seine wahren Gefühle verriet.
»Aber was ist mit Sir John Marshal?«, fragte ich. »Als Sheriff ist es doch seine Pflicht, nach dem Erlass des Königs den Frieden in Yorkshire zu wahren.«
»Er ist ein schwacher Mann, und auch er schuldet den Juden viel Geld«, antwortete Reuben. »Ich glaube nicht, dass ihn das Gewissen allzu sehr plagen würde, wenn man uns alle ermordet und seine Schulden mit uns auslöscht. Aber vielleicht ist das ungerecht von mir. Heutzutage kann ich Freund kaum mehr von Feind unterscheiden, und alle Christen sehen für mich gleich aus.« Er lächelte Robin an, um anzudeuten, dass er das nicht ganz ernst meinte. »Doch ihr seid hergekommen, um über Geld zu sprechen«, fuhr er fort. »Also reden wir von Gold und Silber, nicht vom Tod. Wie können meine Freunde und ich euch zu Diensten sein?«
Robin nickte mir zu, und ich entschuldigte mich und stand vom Tisch auf – Robin zog es vor, seine finanziellen Angelegenheiten unter vier Augen zu besprechen. Also ging ich ans andere Ende der Halle, um einen besonders schönen Wandbehang zu betrachten, der dort hing. Er zeigte die Heilige Stadt Jerusalem hoch oben auf einem Hügel, und Darstellungen der Engel, Erzengel und ältesten Propheten, und ich dachte über die vielen religiösen und traditionellen Gemeinsamkeiten von Juden und Christen nach. Tuck hatte mir erzählt, dass ein großer Teil der Bibel auch den Juden heilig sei.
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