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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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keineswegs zerstreut: Die Menge schien noch größer geworden zu sein, und irgendjemand organisierte sie, ziemlich sicher ein Soldat, denn sie umzingelte uns wie eine Armee von Belagerern. Ich hätte nicht so leicht fliehen können, wie Robin behauptet hatte. Die blutrünstigen Horden waren nicht nach Hause gegangen, als es dunkel wurde – sie würden bleiben. Und morgen würden sie versuchen, den Turm zu stürmen. Uns stand ein harter Kampf bevor. Meine Hände glitten an meinen Gürtel, zum Dolch auf der einen und dem Schwert an meiner anderen Seite. Wenn es mir bestimmt wäre, morgen zu sterben, würde ich ein paar dieser verfluchten Irren mitnehmen, sagte ich mir tapfer. Doch in meiner Magengrube wand sich zitternd die eiskalte Schlange der Furcht.
    In diesem Moment berührte mich eine zarte Hand am Arm, und ich zuckte zusammen wie ein aufgeschrecktes Kaninchen, den Dolch schon halb aus der Scheide. Ruth stand neben mir und hielt mir eine dampfende Holzschüssel hin.
    »Tut das nicht!«, sagte ich ärgerlich. »Schleicht Euch nicht so an Leute heran. Ich hätte Euch beinahe erstochen.«
    Sie runzelte die Stirn. »Es tut mir leid, dass ich Euch Angst eingejagt habe«, sagte sie.
    »Ihr habt mir keine Angst eingejagt«, erwiderte ich, immer noch gereizt. »Ich habe lediglich den Feind gemustert und einige Strategien für morgen ersonnen.« Ich klang wichtigtuerisch und bereute die Worte, sobald ich sie ausgesprochen hatte.
    Schweigend reichte sie mir die Schüssel Fischeintopf und bedeutete mir, zu essen. Ich ließ mich auf dem Boden nieder, lehnte den Rücken an die mächtige Holzwand und begann, die Suppe zu löffeln. Ruth hockte sich neben mich und sah mir zu. Der Eintopf schmeckte einfach köstlich, und ich fand es erstaunlich, dass jemand sich unter diesen schwierigen Umständen die Mühe gemacht hatte, eine anständige heiße Mahlzeit zu bereiten. Ich lächelte ihr kurz zu, und sie lächelte zurück. Wir waren wieder Freunde.
    »Ich habe Euch noch nicht dafür gedankt, dass Ihr uns hierher geleitet habt«, sagte sie. In ihren braunen Augen über dem Rand des Schleiers standen Herzenswärme und Anerkennung. »Ich hatte solche Angst, und Ihr wart so mutig wie ein Held, wie Jonathan in der Schlacht gegen die Philister …«
    Irgendwie verschlug es mir den Appetit, als ich in diese weichen, dunklen Teiche blickte. Ich brummte: »Ich bin kein Jonathan, ich habe nur meine Pflicht getan.« Dann wusste ich nicht weiter, ich hatte einen Kloß in der Kehle, und meine Wangen glühten. Insgeheim freute ich mich immens darüber, dass sie mich für einen Helden hielt. Allerdings hoffte ich, dass die Dunkelheit mein Erröten verbarg.
    »Werdet Ihr bleiben und uns gegen …« – sie wies mit einer Seitwärtsbewegung des Kopfes auf den Burghof jenseits der Brüstung – »… die da beschützen?«
    Ich stellte die beinahe leere Schüssel beiseite und ergriff ihre Hand. »Mylady«, sagte ich verlegen und zu laut für die nächtliche Stille, »ich werde Euch gegen diese bösen Menschen beschützen, sogar mit meinem eigenen Leben. Sie werden Euch kein Haar krümmen.«
    Ruth schmiegte die freie Hand an mein Gesicht und streichelte zärtlich meine mit Flaum bedeckte Wange. »Danke, Alan«, sagte sie.
    Mich schaudert, wenn ich nun nach über vierzig Jahren zurückdenke und höre, welch kühnes Versprechen mein jugendliches Selbst damals abgab. Die Erinnerung an das, was danach geschah, kann ich kaum ertragen – doch ich werde sie wachrufen, denn das habe ich geschworen. Und indem ich mich der ungeschönten Vergangenheit entschlossen stelle, kann ich Unseren Herrn vielleicht dazu bewegen, mir meine Sünden in jenen finsteren Zeiten zu vergeben.
    Ich folgte Ruth die Wendeltreppe in der Ecke des Turms hinab und beobachtete dabei mit großem Interesse die schmale Taille und den Schwung der Hüften bei jedem ihrer Schritte. Im Erdgeschoss trafen wir auf eine Versammlung aller Männer in kampffähigem Alter. Sie gaben keineswegs eine beeindruckende Streitmacht ab. Es waren gut vierzig Juden zwischen vierzehn und fünfzig, die meisten mit dunklem oder grauem Haar und niedergeschlagenen, bekümmerten Mienen. Sie wirkten beschämt, verängstigt, und sie konnten einander nicht in die Augen sehen. Ruth zog sich zurück, und ich sah zu, wie Robin, ganz gelassene Zuversicht, sich mitten in dem viereckigen Raum auf einer hölzernen Kiste aufbaute, so dass ihn jedermann sehen konnte. Er hielt eine ungeladene Armbrust lässig an eine

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