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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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sie es bereuen, uns je angegriffen zu haben. Haben das alle verstanden?« Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
    »Ich wiederhole es trotzdem noch einmal. Wenn sie angreifen, lassen wir sie ganz nah herankommen. Niemand schießt, bis ich den Befehl dazu gebe. Ist das klar? Sollte jemand vorher schießen, werde ich ihn eigenhändig über die Brüstung stoßen und den Christen zum Fraß vorwerfen. Verstanden?«
    Der Mann, der am Abend zuvor Robins kleine Ansprache unterbrochen hatte, brummelte etwas Unverständliches in seinen roten Rauschebart. Doch als Robin ihn scharf ansah, sagte er nichts mehr. In der Gruppe der jüdischen Krieger begegnete ich Reubens Blick, und wir wechselten ein mattes Lächeln. Er sah müde aus, hielt die Armbrust aber so beiläufig in der Hand, als sei sie ihm schon in die Wiege gelegt worden.
    »Und jetzt warten wir«, schloss Robin, setzte sich in den Schatten der Brustwehr und streckte die langen Beine aus. Er zog sich die Kapuze über die Augen und schien ein Nickerchen machen zu wollen. Sein Langbogen lag mit loser Sehne neben ihm, und er ließ eine Hand darauf ruhen, lüpfte mit der anderen eine Ecke seiner Kapuze und sah mich an. »Behalte alles im Auge, ja, Alan?«, sagte er und gähnte. »Weck mich in zwei Stunden, falls bis dahin nichts passiert ist.« Und dann schlief er ein.
    Die Juden staunten über seine unglaubliche Nonchalance. Doch auch sie suchten es sich, an die Brüstung gelehnt, bequem zu machen. Essen wurde herumgereicht und Weinschläuche, und ein paar Männer begannen sogar, leise vor sich hin zu singen, eine fremdartige, wundersame Melodie, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. Ihre geheimnisvolle Musik gehorchte nicht den goldenen Regeln jener Kunst, die ich so gründlich von meinem ehemaligen Meister gelernt hatte – der französische Trouvère Bernard de Sezanne diente nun Königin Eleanor von Aquitanien, der Mutter von König Richard. Dennoch klang sie wahrhaft schön.
    Umweht von uralten jüdischen Weisen, blickte ich auf die Masse irregeleiteter christlicher Narren unter uns hinab, die Bruder Ademars flammenden Hasstiraden lauschten. Ich lockerte meine Klingen in ihren Scheiden. Meine gespannte Armbrust hatte ich an die Brustwehr gelehnt, und ein Dutzend Bolzen steckten in meinem Gürtel. Manchmal konnte ich Robins Misstrauen gegenüber dem christlichen Glauben beinahe verstehen – zu Zeiten wie diesen, wenn ein heiliger Stellvertreter Gottes auf Erden gläubige Christen dazu aufhetzte, ihre Mitbürger abzuschlachten. Doch tief im Herzen war ich gewiss, dass nicht die Lehren Jesu schuld daran waren. Das Böse kam nicht von Ihm, es musste vom Teufel stammen oder der Sündhaftigkeit des Menschen entspringen. Christus allein war die Antwort – einzig Christus konnte die Welt vor allem Bösen erretten, da war ich mir sicher. Zumindest beinahe.
     
    Der Angriff erfolgte kurz nach dem Mittag. Ich hatte mit halbem Ohr den Lauten der Menge und Ademars aufpeitschenden Worten gelauscht, während Robin neben mir leise schnarchte. Die Menge hörte sich an wie das Brausen von Wellen, die sich an einem Kiesstrand brachen. Auf seltsame, grässliche Art war es beruhigend, nur ein unablässiges, dumpfes Dröhnen, das scheinbar in keinerlei Zusammenhang mit irgendeinem Übel stand. Doch plötzlich entstand Bewegung auf dem Burghof. Bruder Ademar hatte eine lange Tirade mit einem schallenden Ruf beendet, die Masse brüllte lauter als sonst, und nun stürzte er sich in die Menge seiner Zuhörer und bahnte sich einen Weg durch die vielen Leiber, als schwimme er in einem Meer aus Menschen. Malbête glitt im Windschatten des Mönchs durch das Gedränge, umgeben von einem halben Dutzend Wachen in scharlachroten und himmelblauen Wappenröcken – den Farben der Bestie.
    Ademar kam am Tor des Burghofs wieder zum Vorschein, dem Zugang zu der Erdrampe, über die man zum Turm gelangte. Er drehte sich zu der dichtgedrängten Menschenmenge um und brüllte einen letzten Aufruf. Aus dieser Entfernung konnte ich ihn deutlich verstehen, und ich schwöre, dass er schrie: »Diese Christusmörder müssen zerquetscht werden wie Läuse! Wir wollen sie vom Angesicht der Erde tilgen! Das ist Gottes Wille! Gottes Wille!« Seine Worte wurden mit neuerlichem donnerndem Gebrüll der Menge beantwortet. Er reckte das sechs Fuß hohe Holzkreuz und stürmte ganz allein die Rampe entlang und die hölzernen Stufen hinauf zum Turm. Mit einem rasenden Geheul, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ,

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