Der Krieg am Ende der Welt
ungefähr zwanzig Männer, die sich, für eine lange Reise gerüstet, von ihren Angehörigen verabschiedeten.Der Ratgeber war nicht im Sanktuarium. Er hatte Pater Joaquim zum Abschied an die Straße nach Cumbe begleitet und dann, das weiße Lamm an der einen Hand, den Hirtenstab in der andern, die Gesundheitshäuser besucht, um Kranken und alten Leuten Trost zu spenden. Die Gänge des Ratgebers durch Belo Monte wurden immer schwieriger wegen der großen Menschenmenge, die sich an seine Fersen heftete. Diesmal begleiteten ihn der Löwe von Natuba und die frommen Frauen des Heiligen Chors. Der Beatinho und Maria Quadrado waren im Sanktuarium geblieben.
»Ich bin nicht würdig, Beatinho«, sagte der ehemalige Sklave von der Tür aus mit erstickter Stimme. »Gelobt sei der gute Jesus.«
»Ich habe einen Eid für die Katholische Wachmannschaft vorbereitet«, erwiderte der Beatinho sanft. »Einen, der tiefer geht als der für die Pilger, die ihre Seelen retten wollen. Der Löwe hat ihn aufgeschrieben.« Er reichte ihm ein Papier, das in den schwarzen Riesenhänden verschwand. »Du lernst ihn auswendig, und jeder, den du auswählst, muß ihn ablegen. Wenn die Katholische Wachmannschaft steht, sollen ihn alle gemeinsam im Tempel ablegen, und wir veranstalten eine Prozession.«
Maria Quadrado kam mit einem Lappen und einem Gefäß voll Wasser auf sie zu.
»Setz dich, João«, sagte sie liebevoll. »Trink zuerst. Und laß mich dich waschen.«
Der Neger gehorchte. Er war so gewaltig, daß er sitzend so groß war die die Oberin des Heiligen Chors. Er trank gierig. Er war verschwitzt und aufgeregt, er schloß die Augen, während ihm Maria Quadrado das Gesicht, den Hals und das krause, mit weißen Strähnen vermischte Haar wusch. Plötzlich streckte er einen Arm aus und klammerte sich an die Oberin:
»Hilf mir, Mutter Maria Quadrado«, bat er sie flehentlich in tiefster Angst. »Ich bin nicht würdig.«
»Du bist Sklave eines Menschen gewesen«, sagte die fromme Frau und streichelte ihn wie ein Kind. »Und willst jetzt nicht Sklave des guten Jesus sein? Er wird dir helfen, João Grande.«
»Ich schwöre, daß ich kein Republikaner gewesen bin, daß ichweder die Vertreibung des Kaisers noch seine Ablösung durch den Antichrist anerkenne«, rezitierte der Beatinho mit innerster Frömmigkeit. »Daß ich weder die Zivilehe noch die Trennung von Kirche und Staat, noch das Dezimalsystem anerkenne. Daß ich auf die Fragen der Volkszählung nicht antworten werde. Daß ich nie mehr weder stehlen noch rauchen, noch mich betrinken, noch wetten, noch aus Lasterhaftigkeit Unzucht treiben werde. Und daß ich mein Leben hingeben werde für meine Religion und den guten Jesus.«
»Ich werde ihn lernen, Beatinho«, stammelte João Grande. Unterdessen kam, angekündigt von einem großen Stimmengewirr, der Ratgeber. Als er das Sanktuarium betrat, dunkelhäutig, hochgewachsen, skelettartig, gefolgt von dem Lamm, dem Löwen von Natuba – diesem Bündel auf vier Beinen, das Kapriolen zu schlagen schien – und den frommen Frauen, tönte das ungeduldige Raunen draußen weiter fort. Das Lamm lief zu Maria Quadrado und leckte ihr die Fesseln. Die frommen Frauen knieten an der Wand nieder. Der Ratgeber ging zu João Grande, der auf den Knien lag und zu Boden blickte. Er schien von Kopf bis Fuß zu zittern. Fünfzehn Jahre lang war er nun beim Ratgeber und wurde neben ihm noch immer ein Nichts, fast ein Ding. Der Heilige nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn, den Kopf zu heben. Die glühenden Pupillen senkten sich in die verweinten Augen des ehemaligen Sklaven. »Immer leidest du, João Grande«, murmelte er.
»Ich bin nicht würdig, auf dich achtzugeben«, schluchzte der Neger. »Befiehl mir, was du willst. Töte mich, wenn es sein muß. Ich will nicht, daß dir durch meine Schuld etwas zustößt. Ich habe den Teufel im Leib gehabt, Vater, bedenke.«
»Du stellst die Katholische Wachmannschaft auf«, erwiderte der Ratgeber. »Du hast viel gelitten, du leidest noch. Deshalb bist du würdig. Der Gerechte wäscht sich im Blut der Sünder die Hände, hat der Vater gesagt. Du, João Grande, bist jetzt ein Gerechter.«
Er ließ es zu, daß er ihm die Hand küßte, und wartete mit abwesendem Blick, bis sich der Neger ausgeweint hatte. Einen Augenblick später verließ er, gefolgt von allen, das Sanktuarium, um den Turm zu besteigen und dem Volk von Belo Monte Rat zu geben. João Grande, der in der Menschenmengestand, hörte ihn beten und
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