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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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waren in einem kleinen Dickicht aus Disteln und Mandacarús, durch das ein ausgetrocknetes Flußbett verlief. In der Ferne sahen sie die Serra de Engorda. Die Banditen waren zu acht, einige in Leder gekleidet, mit Münzen als Schmuck auf den Hüten, und bewaffnet waren sie mit Jagdmessern, Karabinern und Kugelketten. Den Chef, einen kleinen Dickbauch mit Raubvogelprofil und grausamen Augen, nannten die anderen Barbadura, obwohl er unbehaart war. Lakonisch erteilte er ein paar Befehle, und im Handumdrehen hatten seine Männer den Esel getötet, gehäutet zerteilt, und nun brieten sie die Stücke, die sie kurz darauf gierig verschlangen. Anscheinend hatten sie tagelang nicht gegessen, denn ein paar fingen vor Glück über den Festschmaus zu singen an.Galileo, der ihnen zusah, fragte sich, wie lange Viehzeug und Atmosphäre brauchen würden, um diesen Tierkadaver in eines dieser Häuflein blanker Knochen zu verwandeln, an deren Anblick er sich im Sertão gewöhnt hatte: Gerippe, Spuren, Andenken an Mensch oder Tier, die den Reisenden darüber belehrten, welches Schicksal er im Fall einer Ohnmacht oder des Todes zu gewärtigen hatte. Er saß neben der Bärtigen, dem Zwerg, dem Idioten und Jurema auf dem Wagen. Da nahm Barbadura den Hut ab, auf dessen Krempe ein Sterling funkelte, und winkte den Zirkusleuten, sie sollten essen. Der erste, der sich ein Herz faßte, war der Idiot: er kniete nieder und streckte die Finger in den Rauch. Die Bärtige, der Zwerg, Jurema folgten seinem Beispiel. Bald aßen sie zwischen den Banditen mit gutem Appetit. Gall trat ans Feuer. Die Witterung hatte ihn gebräunt und gegerbt wie einen Sertanejo. Seit er Barbadura den Hut hatte abnehmen sehen, wandte er den Blick nicht mehr von seinem Schädel. Er betrachtete ihn noch, als er schon den ersten Bissen in den Mund schob. Der Versuch, ihn hinunterzuschlucken, verursachte ihm Brechreiz.
    »Er kann nur Weiches schlucken«, erklärte Jurema den Männern. »Er ist krank gewesen.«
    »Er ist Ausländer«, fügte der Zwerg hinzu. »Er spricht Sprachen.«
    »So wie du sehen mich nur meine Feinde an«, sagte der Chef grob. »Schau weg, deine Augen stören mich.«
    Denn nicht einmal, während er sich erbrach, hatte Gall aufgehört, ihn zu mustern. Alle sahen ihn an. Galileo, der Barbadura immer noch beobachtete, ging ein paar Schritte, bis er vor ihm stand.
    »Mich interessiert nur dein Schädel«, sagte er sehr langsam.
    »Laß mich ihn anfassen.«
    Der Bandit langte nach seinem Jagdmesser, als wollte er ihn angreifen. Gall beruhigte ihn lächelnd:
    »Laß dich anfassen«, grunzte die Bärtige. »Er sagt dir deine Geheimnisse.«
    Der Bandolero musterte Gall neugierig. Er hatte einen Bissen im Mund, kaute aber nicht.
    »Bist du ein Gelehrter?« fragte er ihn, und plötzlich war die Grausamkeit aus seinen Augen verschwunden.Gall lächelte wieder und trat noch einen Schritt vor, so daß er ihn fast berührte. Er war größer als der Cangaceiro, dessen struppiger Kopf ihm kaum über die Schulter reichte. Zirkusleute und Banditen sahen interessiert zu. Barbadura, die Hand noch immer am Messer, schien unruhig und neugierig zugleich. Galileo hob beide Hände, legte sie auf Barbaduras Kopf und begann ihn zu betasten.
    »Es gab eine Zeit, da wollte ich ein Gelehrter werden«, buchstabierte er, während sich seine Finger langsam, Haarbüschel beiseite schiebend, vorwärts bewegten und die Kopfhaut nach den Regeln der Kunst erforschten. »Die Polizei hat mir keine Zeit dazu gelassen.«
    »Die Mobilen Einheiten?« verstand Barbadura.
    »Darin sind wir uns gleich, daß wir denselben Feind haben.« Barbaduras Äuglein füllten sich plötzlich mit Angst, als würde er gehetzt und sähe keinen Ausweg.
    »Ich will wissen, wie ich einmal sterbe«, flüsterte er wie unter Zwang.
    Die Finger Galls durchpflügten das Zottelhaar des Cangaceiro und verweilten vor allem hinter den Ohren. Er war sehr ernst, sein Blick, wie immer in seinen euphorischen Augenblicken, fiebrig. Die Wissenschaft täuschte sich nicht: auf beiden Schädelhälften sprang das Organ der Angriffslust, das der Draufgänger, der Wildlinge, der Waghälse, rund und frech seinen Fingern entgegen. Aber vor allem das Organ der Zerstörungswut, das der Rachsüchtigen, der Zügellosen, der Ruchlosen, das die großen Gewaltverbrecher hervorbringt, wenn ihm nicht moralische und intelligente Kräfte entgegenwirken, trat anormal weit hervor: zwei harte, hitzige Schwellungen über den Ohren. Der Beute-Mensch, dachte

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