Der Krieg am Ende der Welt
Subversion beleidigt fühlen, erniedrigt.«
Doktor Souza Ferreiro zuckt die Achseln:
»Ich beuge mich Ihrer Entscheidung. Ich bin ein Untergebener. Ich habe es nicht zu verantworten.«
Auf ein Geräusch, das sie hinter sich hören, drehen sich die vier Offiziere und der Journalist nach dem Zelt um. Dort steht Moreira César, sichtbar im schwachen Schein der Lampe, und brüllt Unverständliches. Er hält sich am Segeltuch fest, halbnackt, auf seiner Brust sitzen dunkle, bewegungslose Formen, die Blutegel sein müssen. Nur für Sekunden kann er sich auf den Beinen halten. Dann bricht er mit einem Klagelaut zusammen. Der Doktor kniet nieder, um ihm den Mund aufzumachen, während ihn die Offiziere an den Füßen, an den Schultern und unter dem Rücken fassen, um ihn wieder auf das Feldbett zu legen.»Ich übernehme die Verantwortung. Bringen wir ihn nach Calumbí«, sagt Hauptmann Olimpio de Castro.
»Es ist gut«, stimmt Tamarindo zu. »Begleiten Sie Souza Ferreiro mit einer Eskorte. Aber das Regiment geht nicht zum Baron. Es bleibt hier.«
»Darf ich ihn begleiten, Herr Hauptmann?« sagt im Halbdunkel die aufdringliche Stimme des kurzsichtigen Journalisten. »Ich kenne den Baron. Ich habe für seine Zeitung gearbeitet, ehe ich zum Jornal de Notícias kam.«
Acht Tage blieben sie noch in Ipupiará nach dem Besuch der berittenen Capangas, die als einzige Beute einen roten Haarschopf mitnahmen. Der Ausländer begann sich zu erholen. Eines Nachts hörte die Bärtige, wie er sich in gebrochenem Portugiesisch mit Jurema unterhielt, sie nach dem Land fragte, in dem sie wären, nach dem Tag, dem Monat. Am nächsten Abend ließ er sich vom Wagen herunter und konnte schwankend ein paar Schritte gehen. Und zwei Nächte darauf saß er im Laden von Ipupiará, fieberfrei, abgemagert, angeregt, und bestürmte den Besitzer mit Fragen über Canudos. In einer Art wilder Begeisterung ließ er sich mehrmals bestätigen, daß ein fünfhundert Mann starkes Heer aus Bahia unter dem Befehl von Major Febrônio de Brito am Cambaio in die Flucht geschlagen worden war. Die Nachricht erregte ihn so, daß Jurema, die Bärtige und der Zwerg dachten, er würde abermals anfangen, in fremder Zunge zu phantasieren. Doch Gall, der ein Gläschen Zuckerrohrschnaps mit dem Ladenbesitzer getrunken hatte, fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem er zehn Stünden lang nicht erwachte.
Auf Initiative von Gall brachen sie wieder auf. Die Zirkusleute wären lieber noch in Ipupiará geblieben, wo sie schlecht und recht zu essen hatten, da sie die Leute mit Geschichten und Clownerien unterhalten konnten. Doch der Ausländer hatte Angst, die Capangas würden zurückkommen und sich diesmal seinen Kopf holen. Er war wieder bei Kräften: er sprach so energisch, daß die Bärtige, der Zwerg und der Idiot ihm mit offenem Mund zuhörten. Sie mußten zum Teil erraten, was er sagte, und seine Manie, von den Jagunços zu sprechen, machtesie neugierig. Die Bärtige fragte Jurema, ob er einer dieser Apostel des guten Jesus sei, die durch die Welt zögen. Nein, er war keiner. Er war nie in Canudos gewesen, er kannte den Ratgeber nicht, glaubte nicht einmal an Gott. Auch Jurema war diese Manie unbegreiflich. Als Gall ihnen sagte, er bräche nach Norden auf, beschlossen der Zwerg und die Bärtige, mit ihm zu gehen. Sie hätten nicht sagen können, weshalb. Vielleicht war es eine Sache der Schwerkraft, der Anziehung, die schwere Körper auf leichte ausüben, vielleicht war der Grund einfach der, daß sie keine Alternative hatten, keinen Widerstand einem Menschen entgegenzusetzen, der, im Unterschied zu ihnen, einen Lebensweg zu haben schien.
Bei Tagesanbruch zogen sie los und wanderten den ganzen Tag über, ohne miteinander zu reden, zwischen Steinen und langfasrigen Mandacarús, vorne der Wagen, zu beiden Seiten die Bärtige, der Zwerg und der Idiot, Jurema dicht hinter den Rädern und am Ende der Karawane Galileo Gall. Als Sonnenschutz hatte er einen Hut aufgesetzt, der dem Riesen Pedrino gehört hatte. Er war so dünn geworden, daß sich die Hose um ihn bauschte und das Hemd an ihm flatterte. Der Streifschuß hatte einen blauroten Fleck hinter dem Ohr zurückgelassen, das Messer von Caifás eine krumme Narbe zwischen Hals und Schulter. Magerkeit und Blässe verschärften die fiebrige Unruhe in seinen Augen. Am vierten Tag der Wanderung stießen sie an einer Wegbiegung, am sogenannten Sítio das Flores, auf eine Gruppe hungriger Männer, die ihnen den Esel wegnahmen. Sie
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