Der Krieg am Ende der Welt
er.
»Hast du nicht gehört?« brüllte Barbadura und entzog sich mit einer so heftigen Bewegung, daß er stolperte. »Wie werde ich sterben?«
Gall wiegte entschuldigend den Kopf:
»Ich weiß es nicht. Das steht nicht in deinen Knochen geschrieben.«
Die Männer der Bande gingen auseinander, kehrten zum Feuer zurück. Doch die Zirkusleute blieben bei Gall und Barbadura, der nachdenklich geworden war.»Ich fürchte mich vor nichts«, sagte er feierlich. »Wenn ich wach bin. In den Nächten ist das anders. Manchmal sehe ich mein Skelett. Als ob es auf mich warten würde, verstehst du?«
Er machte eine Geste des Widerwillens, fuhr sich mit der Hand über den Mund und spuckte aus. Man sah ihm die Beunruhigung an, und alle schwiegen eine Weile, hörten sich das Surren der Fliegen, der Wespen und Schmeißfliegen an, die um die Essensreste flogen.
»Das ist kein Traum aus jüngster Zeit«, fügte der Bandit hinzu.
»Ich träumte ihn schon als Kind in Cariri, lange bevor ich nach Bahia kam. Auch, als ich mit Pajeú ging. Manchmal vergehen Jahre und der Traum kommt nicht. Und plötzlich ist er wieder da, jede Nacht.«
»Pajeú«, sagte Gall und sah Barbadura interessiert an. »Der mit der Narbe, der, der ...«
»Pajeú«, nickte der Cangaceiro. »Ich war fünf Jahre bei ihm, ohne daß wir je Streit hatten. Im Kampf war er der Beste. Dann hat ihn der Engel gestreift und er hat sich bekehrt. Jetzt ist er ein Auserwählter Gottes, dort, in Canudos.«
Er zuckte die Achseln, als sei das schwer begreiflich oder als ginge es ihn nichts an.
»Bist du in Canudos gewesen?« fragte Gall. »Erzähl. Was passiert dort? Wie ist es da?«
»Man hört viel«, sagte Barbadura und spuckte aus. »Daß sie einem gewissen Febrônio viele Soldaten getötet haben. Sie haben sie in den Bäumen aufgehängt. Angeblich holt sie der Teufel, wenn sie nicht begraben werden.«
»Waren sie gut bewaffnet«, insistierte Gall, »können sie einem neuen Angriff standhalten?«
»Können sie«, grunzte Barbadura. »Nicht nur Pajeú ist dort. Auch João Abade, Taramela, Joaquim Macambira und seine Söhne, Pedráo. Die schrecklichsten Kerle der ganzen Gegend. Sie haben sich gehaßt und gegenseitig umgebracht. Jetzt sind sie Brüder und kämpfen für den Ratgeber. Trotz ihren Untaten werden sie in den Himmel kommen. Der Ratgeber hat ihnen verziehen.«
Die Bärtige, der Idiot, der Zwerg und Jurema, die sich gesetzt hatten, hörten hingerissen zu.»Der Ratgeber gibt jedem Pilger einen Kuß auf die Stirn«, fügte Barbadura hinzu. »Der Beatinho läßt sie niederknien, und der Ratgeber hebt sie auf und küßt sie. Die Leute weinen vor Glückseligkeit. Jetzt bist du auserwählt und weißt, daß du in den Himmel kommst. Was bedeutet da noch der Tod?«
»Du solltest auch in Canudos sein«, sagte Gall. »Sie sind auch deine Brüder. Sie kämpfen, damit sich der Himmel auf Erden verwirklicht. Damit die Hölle verschwindet, vor der du solche Angst hast.«
»Ich habe nicht vor der Hölle Angst, sondern vor dem Tod«, berichtigte ihn Barbadura, ohne aufzubrausen. »Oder besser, vor dem Alptraum vom Tod. Das ist etwas anderes, verstehst du?« Mit gequälter Miene spuckte er mehrmals aus. Plötzlich wandte er sich, auf Gall deutend, an Jurema:
»Träumt dein Mann nie von seinem Skelett?«
»Er ist nicht mein Mann«, antwortete Jurema.
Laufend kam João Grande nach Canudos, den Kopf wirr von der ihm übertragenen Verantwortung, und fand von Sekunde zu Sekunde weniger, daß er, ein armer, sündiger Mensch, der einmal geglaubt hatte, vom Teufel besessen zu sein (eine wie die Jahreszeiten wiederkehrende Angst), diese Ehre verdient habe. Er hatte sie angenommen, er konnte nicht mehr zurück. Bei den ersten Häusern hielt er an und wußte nicht, was tun. Er hatte vorgehabt, zu Antônio Vilanova zu gehen, damit der ihm sagte, wie er die Katholische Wachmannschaft organisieren sollte. Doch nun ließ sein erschrockenes Herz ihn wissen, daß er in diesem Augenblick geistlichen Beistands bedürftiger war als praktischer Hilfe. Es war Abend, bald würde der Ratgeber auf den Turm steigen: wenn er sich beeilte, würde er ihn vielleicht noch im Sanktuarium antreffen. Wieder begann er zu laufen, nun durch die gewundenen Gassen, die angefüllt waren mit Männern, Frauen, Kindern, die ihre Häuser, ihre Hütten, Höhlen und Löcher verließen und, wie jeden Abend, dem Tempel des guten Jesus zuströmten, um den Ratgeber zu hören. Vor dem Laden der Vilanova sah er Pajeú und
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