Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Rascheln von Zweigen und knisternde Schritte weckten ihn. Er wollte schreien, als er einen Atem an seiner Schulter fühlte und im Halbdunkel einen Holzdolch sich in die Erde bohren sah.
    »Nicht schießen! Nicht schießen!« schrie er. »Ich bin ein Freund, ein Freund.«
    Er hörte Stimmengemurmel und schrie weiter, bis sich ein brennender Span in das Loch senkte. Hinter der Flamme ahnte er Menschenköpfe. Es waren bewaffnete Männer in Grasmänteln. Hände streckten sich nach ihm aus und hoben ihn an die Oberfläche. Überschwang, Glück sprachen aus dem Gesicht Galls, den die Jagunços im Schein ihrer Fackeln von Kopf bis Fuß musterten. Während sie ihn besahen und berochen,erstaunt über dieses Wesen, das sie in die ihnen bekannten Menschenarten nicht einzuordnen vermochten, verlangte Gall heftig, sie sollten ihn nach Canudos führen: Er könne ihnen von Nutzen sein, dem Ratgeber helfen, ihnen die Machenschaften der korrupten bürgerlichen Politiker und Militärs erklären, denen sie zum Opfer fielen. Um seinen Worten Emphase und Überzeugungskraft zu verleihen und die Leerstellen in seiner Halbsprache auszufüllen, gestikulierte er und sah einen um den andern mit hervorquellenden Augen an: Er, Kameraden, habe eine lange Erfahrung als Revolutionär, er habe viele Male an der Seite des Volkes gekämpft, er wolle ihr Schicksal teilen.
    »Gelobt sei der gute Jesus«, meinte er einen der Männer sagen zu hören.
    Verspotteten sie ihn? Er stotterte, versprach sich, kämpfte gegen das Gefühl der Ohnmacht, das ihn befiel, als er entdeckte, daß die Dinge, die er sagte, nicht eigentlich das waren, was er den Jagunços sagen wollte und was sie hätten verstehen können. Am meisten entmutigte es ihn, im schwankenden Licht der Fackeln sehen zu müssen, daß die Jagunços vielsagende Blicke und Gesten tauschten, daß sie ihn nachsichtig anlächelten, ihm Einblick gewährend in ihre Münder, in denen Zähne fehlten oder zuviel waren. Ja, es hörte sich vielleicht unsinnig an, aber sie mußten ihm glauben! Er war hier, um ihnen zu helfen, es hatte ihn unendliche Mühe gekostet, bis nach Canudos zu kommen. Durch sie war ein Feuer wieder aufgeflammt, das der Unterdrücker in der Welt ausgelöscht zu haben glaubte. Wieder verstummte er, aus dem Konzept gebracht, verzweifelt über das gutmütige Verhalten der Männer in den Grasmänteln, in denen er nur Neugier und Mitleid erriet. Er stand mit ausgestreckten Händen und fühlte Tränen in seinen Augen. Was machte er hier? Wie hatte er sich in diese Falle begeben können, aus der er nicht wieder herauskommen würde, nur weil er geglaubt hatte, er würde ein Sandkorn beitragen können zu dem großen Unternehmen, die Welt weniger barbarisch zu machen? Jemand redete ihn an, er solle keine Angst haben, es wären ja nur Freimaurer, Protestanten, Diener des Antichrist, und der Ratgeber und der gute Jesus seien stärker. Der Sprecher hatte ein langes Gesicht und ein paar winzige Augen und buchstabierte jedes Wort: Notfallsentstiege ein König namens Sebastião dem Meer und käme Belo Monte zu Hilfe. Er solle nicht weinen, die Unschuldigen habe der Engel gestreift, und wenn die Ketzer sie töteten, würde der Vater sie wiederauferstehen lassen. Gall wollte ihnen antworten, ja, gewiß, unter dem trügerischen Kleid der Worte, die sie sprachen, sei er fähig, die untrügliche Wahrheit zu hören: daß hier ein Kampf begann zwischen dem Guten, das die Armen und Leidenden und Enterbten waren, und dem Bösen, das die Reichen und ihre Heere waren, und daß am Ende dieses Kampfes eine Zeit weltweiter Brüderlichkeit anbrechen werde. Doch er konnte die richtigen Worte nicht finden, und nun fühlte er, daß sie ihn auf die Schultern klopften und ihn trösteten, weil sie ihn weinen sahen. Er hörte Satzfetzen, Kuß für die Auserwählten, einmal würde er reich sein, er solle beten.
    »Ich will nach Canudos«, brachte er, den Sprecher am Arm packend, noch heraus. »Nehmt mich mit. Kann ich mit euch gehen?«
    »Du kannst nicht«, erwiderte einer und deutete nach oben.
    »Dort stehen die Hunde. Sie würden dir den Hals abschneiden. Versteck dich. Nachher kannst du hin, wenn sie tot sind.«
    Sie machten Friedenszeichen und verschwanden nach allen Seiten, ließen ihn mitten in der Nacht stehen, betäubt, mit einem Satz, der ihm wie Hohn in den Ohren klang: Gelobt sei der gute Jesus. Er lief ein paar Schritte, versuchte, ihnen zu folgen, doch da flog ihm etwas Schweres entgegen und warf ihn um. Daß es

Weitere Kostenlose Bücher