Der Krieg am Ende der Welt
Rufino war, begriff er, als er schon mit ihm rang, und während er schlug und geschlagen wurde, dachte er, daß dieses teerschwarze Funkeln hinter den Jagunços die Augen des Spurenlesers gewesen sein mußten. Hatte er abgewartet, bis sie gingen, um ihn anzugreifen? Sie tauschten keine Beschimpfungen, während sie im Schlamm der Caatinga keuchten und sich Wunden beibrachten. Es regnete wieder, und Gall hörte Donner, das Rauschen des Wassers, und irgendwie befreite ihn diese tierische Wildheit von der Verzweiflung und gab seinem Leben momentan einen Sinn. Während er biß, strampelte, kratzte, mit dem Kopf stieß, hörte er eine Frau, sicher Jurema, nach Rufino rufen und dazwischen den Angstschrei des nach Jurema rufenden Zwergs. Doch plötzlich gingen alle Geräuscheunter in dem vielfachen Schall der Trompeten auf den Höhen und einem Glockengeläut, das ihnen im Tal Antwort gab. Es war, als kämen diese Trompeten und Glocken, deren Sinn er ahnte, ihm zu Hilfe. Er kämpfte mit größerem Schwung, ohne Müdigkeit oder Schmerz zu spüren. Er fiel und stand wieder auf, ohne zu wissen, ob das, was er über seine Haut rinnen fühlte, Schweiß, Regen oder Blut aus Wunden war. Mit einem Ruck entglitt Rufino seinen Händen, versank, man hörte das Aufschlagen seines Körpers auf dem Grund des Lochs. Gall blieb liegen, keuchend, mit der Hand den Rand des Lochs abtastend, das über den Kampf entschieden hatte, und dachte, daß dies seit vielen Tagen das erste für ihn günstige Ereignis sei.
»Du mit deinen Vorurteilen! Hirnloser, eitler, starrsinniger Mensch!« schrie er atemlos. »Ich bin nicht dein Feind, deine Feinde sind die mit den Trompeten. Hörst du sie nicht? Das ist wichtiger als mein Samen, als die Fotze deiner Frau, in die du wie ein blöder Bourgeois deine Ehre gelegt hast.« Er merkte, daß er wieder englisch sprach. Mühsam erhob er sich. Es goß wie aus Kübeln, und das Wasser, das er mit offenem Mund auffing, tat ihm gut. Hinkend, weil er an einem Bein verletzt war, vielleicht durch den Sturz in das Loch, vielleicht durch den Kampf, ging er in die Caatinga hinein, fühlte Zweige und spießende Äste, stolperte. Er versuchte sich nach den klagenden, unheimlichen Trompeten oder den feierlichen Kirchenglocken zu orientieren, doch die Laute schienen zu wandern. Da klammerte sich etwas an seine Beine und ließ ihn stürzen und Schlamm zwischen den Zähnen spüren. Er stieß um sich, versuchte sich freizumachen und hörte den Zwerg wimmern:
»Verlaß mich nicht, Gall, laß mich nicht allein. Spürst du nicht, was du streifst? Siehst du nicht, was das ist, Gall?«
Wieder hatte er das Gefühl des Alptraumhaften, Phantastischen, Absurden. Er erinnerte sich, daß der Zwerg im Dunkeln sehen konnte, daß die Bärtige manchmal Kater oder Käuzchen zu ihm gesagt hatte. Er war so müde, daß er liegenblieb, ohne den Zwerg wegzuschieben, den er wimmern hörte, er wolle nicht sterben. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und rieb sie ihm, während er angestrengt horchte. Kein Zweifel: das waren Kanonenschüsse. Er hatte sie in Abständen schon frühergehört und sie für Trommelwirbel gehalten, doch nun war er sicher, daß es schwere Geschütze waren. Kleine Kanonen zwar, vielleicht Mörser, aber sie würden Canudos in die Luft jagen. Seine Ermattung war zu groß, er verlor das Bewußtsein, sei es, daß er ohnmächtig wurde, sei es, daß er einschlief.
Zitternd vor Kälte erwachte er im ersten schwachen Licht des Tages. Er hörte das Zähneklappern des Zwergs, sah seine vor Entsetzen rollenden Augen. Der kleine Mann mußte auf seinem rechten Bein geschlafen haben, das sich taub anfühlte. Er kehrte ins Bewußtsein zurück, blinzelte, blickte: in den Bäumen sah er Reste von Uniformen, Kappen, Knobelbecher, Umhänge, Feldflaschen, Gamaschen, Säbel- und Bajonettscheiden und ein paar plumpe Kreuze hängen. Sie waren es, diese Anhängsel an den Bäumen, die der Zwerg wie verhext anstarrte, als sähe er nicht diese Gegenstände, sondern die Gespenster derer, die sie benutzt hatten. Wenigstens die haben sie erschlagen, dachte Gall.
Er horchte. Ja, wieder ein Kanonenschuß. Es mußte seit Stunden zu regnen aufgehört haben, denn um ihn war alles trocken, doch die Kälte saß ihm in den Knochen. Trotz seiner Schwäche und dem Schmerz in allen Gliedern gelang es ihm aufzustehen. Er entdeckte das Jagdmesser an seinem Gürtel und dachte, daß es ihm nicht einmal eingefallen war, es zu benutzen, als er mit dem Spurensucher
Weitere Kostenlose Bücher