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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ratgeber sagte, man müsse hören, wie Maria geklagt habe beim Anblick des süßen, im Morgenlicht seines kostbaren Lebens in Blut gebadeten Lamms, und ihr Weinen, sagte er, sei ein Symbol dafür, daß die Mutter Gottes täglich weine über die Sünden und den Kleinmut der Menschen, die wie der Priester im Tempel das Blut Jesu vergossen. Unterdessen kam der Beatinho mit einem Gefolge von Leuten, die die Heiligenbilder aus den Kirchen und die Urne mit dem Antlitz des guten Jesus brachten. Unter ihnen war, fast verloren, krumm wie eine Sichel und durchnäßt, der Löwe von Natuba. Der Beatinho und der Schreiber wurden von der Katholischen Wachmannschaft auf den Platz gehoben, der ihnen gebührte.
    Als die Prozession zum Vaza Barris weiterzog, hatte der Regen den Boden in ein Schlammfeld verwandelt. Die Auserwählten wateten und machten sich schmutzig, und innerhalb weniger Minuten waren Heiligenbilder, Standarten, Baldachine undFahnen bleifarbene Kleckse und Klumpen. Während der Regen den Fluß aufwühlte, sprach der Ratgeber von einem aus Fässern errichteten Altar herab, und seine Stimme war so leise, daß selbst die ihm zunächst Stehenden sie kaum hörten. Doch diese wiederholten seine Worte denen, die hinter ihnen standen und diese, in einer Kette konzentrischer Wellen, den noch weiter Entfernten.
    Der Körper, sagte er, müsse in allem mit dem Kopf verbunden sein, sonst sei er kein lebendiger Körper oder würde das Leben des Kopfes nicht teilen, und Maria Quadrado, die Füße im warmen Schlamm, an den Knien das Lamm, das Alexandrinha Corrêa an der Schnur hielt, verstand, daß der Ratgeber von der unauflöslichen Einheit sprach, die zwischen den Auserwählten und ihm und dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist in der Schlacht bestehen müsse. Und sie brauchte nur die Gesichter ringsum zu sehen, um zu wissen, daß alle ihn verstanden, so wie sie ihn verstand, als er sagte, der gute Gläubige besitze die Klugheit der Schlange und die Sanftheit der Taube. Maria Quadrado zitterte, als sie ihn psalmodieren hörte: »Ich bin hingeschüttet wie Wasser, trennen wollen sich all meine Knochen, mein Herz ist worden zu Wachs, in meinen Eingeweiden zerflossen.« Denselben Psalm hatte sie ihn vor vier? vor fünf? Jahren auf den Höhen von Masseté singen hören, am Tag jenes ersten Gefechts, das der Wanderschaft ein Ende setzte. Am Vaza Barris entlang zog die Menge weiter hinter dem Ratgeber durch Fluren, die von den Auserwählten bestellt worden waren, über Weiden, auf denen Ziegen, Schafe und Kühe grasten. Sollte all das verschwinden, niedergewalzt werden von der Ketzerei? Auch in den Saaten sah sie Schützenlöcher und Bewaffnete. Nun sprach der Ratgeber, von einem kleinen Hügel herab, ausdrücklich vom Krieg. Würden die Gewehre der Freimaurer Wasser speien statt Kugeln? Sie wußte, daß die Worte des Ratgebers nicht wörtlich zu nehmen waren, daß sie oft Vergleiche und schwer zu enträtselnde Symbole waren, die sich deutlich auf die Ereignisse erst beziehen ließen, wenn diese eingetreten waren. Es hatte aufgehört zu regnen, und Fackeln wurden angezündet. Die Luft roch frisch. Das weiße Pferd des Halsabschneiders, erklärte der Ratgeber, sei für den Gläubigen nichts Neues. Stand nicht inder Apokalypse geschrieben, daß der Reiter auf diesem weißen Pferd Bogen und Krone trug, um zu siegen und zu erobern? Aber durch Fürsprache der Gottesmutter würden seine Eroberungen vor den Toren von Belo Monte enden.
    Und so zog er weiter, von der Straße nach Jeremoabo zu der nach Uauá, vom Cambaio zum Ortseingang von Rosario, von dem Weg nach Chorrochó zum Curral dos Bois, und brachte Männern und Frauen das Feuer seiner Gegenwart. An allen Schützengräben verweilte er und an allen wurde er mit Hochrufen empfangen und verabschiedet. Es war die längste Prozession, an die sich Maria Quadrado erinnerte. Regenschauer und heiteres Wetter lösten einander ab, ein Sinnbild ihrer eigenen Stimmung, die im Verlauf dieses Tages von panischer Angst in Gelassenheit und von Pessimismus in Begeisterung umschlug.
    Es war schon Nacht. An der Straße nach Cocorobó unterschied der Ratgeber zwischen Eva, in der Neugier und Ungehorsam vorherrschten, und Maria, die nur Liebe und Dienen war und nie der Versuchung durch jene verbotene Frucht erlegen wäre, die die Menschheit ins Unglück gestürzt hatte. Im spärlichen Licht sah Maria Quadrado den Ratgeber zwischen João Abade, João Grande, dem Beatinho, den Vilanova stehen und dachte,

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