Der Krieg am Ende der Welt
Geschichten herausrücken würde. »Und die Priester?« fragte er. »Sind die nicht keusch aus Liebe zu Gott? Gall ist eine Art Priester.«
»José Bernardo beurteilt die Leute nach sich selbst«, spöttelte Gumucio, zum Hausherrn gewandt. »Du hättest zehn Jahre Keuschheit bestimmt nicht ausgehalten.«
»Unmöglich«, lachte der Fazendeiro. »Es wäre doch dumm, auf eine der wenigen Entschädigungen, die das Leben zu bieten hat, zu verzichten.«
Eine Kerze im Kandelaber begann zu flackern, bildete einen Rauchfaden, und Murau stand auf, sie zu löschen. Er nützte die Gelegenheit, eine neue Runde Porto einzuschenken, die die Flasche endgültig leerte.
»In zehn Jahren Abstinenz würde er soviel Energie sammeln, daß er eine Eselin schwängern könnte«, sagte er mit blitzenden Augen. Er lachte ordinär und ging schwankend eine neueFlasche Portwein aus dem Buffet holen. Auch die übrigen Kerzen im Kandelaber erloschen, und im Zimmer wurde es dunkel. »Wie ist eigentlich die Frau des Spurensuchers, die, die ihn aus seiner Keuschheit herausgeholt hat?«
»Ich habe sie lange nicht gesehen«, sagte der Baron. »Sie war ein dünnes kleines Mädchen, fügsam und ängstlich.«
»Ordentliche Hüften?« lallte »Oberst« Murau und hob mit zittriger Hand das Glas. »Das ist das Beste, was sie hier haben. Sie sind klein, schmächtig, sie altern schnell. Aber die Hüften, immer erstklassig.«
Adalberto Gumucio beeilte sich, das Thema zu wechseln.
»Mit den Jakobinern Frieden zu schließen, wie du vorschlägst, wird schwer sein«, sagte er zum Baron. »Unsere Freunde werden nicht bereit sein, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die uns seit so vielen Jahren angreifen.«
»Natürlich wird es schwer sein«, erwiderte der Baron, dankbar. »Vor allem Epaminondas zu überzeugen, der sich für den Sieger hält. Aber zuletzt werden alle einsehen, daß es keinen anderen Weg gibt. Es ist eine Frage des Überlebens ...«
Hufschlag und Wiehern in nächster Nähe unterbrachen ihn, und gleich darauf wurde kräftig an die Tür geklopft. José Bernardo runzelte unmutsvoll die Stirn. »Was, zum Teufel, ist los?« brummte er und stand umständlich auf. Schlurfend verließ er das Eßzimmer. Der Baron schenkte die Gläser wieder voll.
»Du und trinken? Das ist neu«, sagte Gumucio. »Ist das wegen Calumbí? Das ist doch nicht das Ende der Welt. Ein Mißgeschick, weiter nichts.«
»Es ist wegen Estela«, sagte der Baron. »Ich werde mir das nie verzeihen. Es ist meine Schuld, Adalberto. Ich habe zuviel von ihr verlangt. Ich hätte sie nicht nach Calumbí mitnehmen dürfen, wie ihr, du und Viana, mir geraten habt. Ich war ein Egoist und leichtfertig.«
Man hörte, wie draußen an der Eingangstür ein Riegel geschoben wurde, und hörte Männerstimmen.
»Das ist doch nur eine vorübergehende Krise, von der sie sich bald erholen wird«, sagte Gumucio. »Es hat keinen Sinn, daß du dir die Schuld gibst.«
»Ich habe beschlossen, daß wir morgen nach Salvador weiterreisen«, sagte der Baron. »Die Gefahr, sie ohne ärztliche Behandlung hier zu lassen, ist größer.«
José Bernardo stand im Türrahmen. Er schien mit einem Schlag nüchtern geworden zu sein, und sein Gesichtsausdruck war so ungewöhnlich, daß der Baron und Gumucio ihm entgegengingen.
»Nachrichten von Moreira César?« nahm ihn der Baron am Arm, in dem Versuch, ihn aus der Erstarrung zu lösen.
»Unglaublich, unglaublich«, murmelte der alte Fazendeiro zwischen den Zähnen, und seine Augen schienen Gespenster zu sehen.
VII
Während er sich im anbrechenden Morgen den Schmutz abkratzt, stellt der kurzsichtige Journalist als erstes fest, daß sein Körper mehr schmerzt als am Abend zuvor, so als wäre er in dieser schlaflos verbrachten Nacht verprügelt worden. Und als zweites die fieberhafte Geschäftigkeit, die Bewegung von Uniformen, die ohne Befehle erfolgt, in einer Stille, die eindrucksvoll absticht von den Kanonenschüssen, Trompeten und Glocken, die während der ganzen Nacht seine Gehörgänge bombardiert haben. Er hängt sich die Ledertasche über die Schulter, klemmt sich das Schreibbrett unter den Arm, und mit einem Gefühl, als würden ihm Nadeln in die Beine gestochen, und einem Juckreiz, der unmittelbar bevorstehendes Niesen ankündigt, klettert er in Richtung auf Moreira Césars Zelt den Berg hoch. Die Feuchtigkeit, denkt er, geschüttelt von einem Niesanfall, der ihn den Krieg und alles vergessen läßt, was nicht diese inneren Eruptionen sind, die ihm Tränen
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