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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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oder innerlich erschöpft ist. Die Hand bleibt in einer Art Liebkosung auf Galls Gesicht liegen. Auch Gall schlägt ihn ein-, zweimal, und seine Hand kommt auf dem Schädel des Spurenlesers zur Ruhe. Umschlungen, Auge in Auge, ringen sie mit dem Tod. Jurema hat den Eindruck, daß sich die zwei nur Millimeter voneinander entfernten Gesichter anlächeln.
    Jetzt hast du ihm die Hand ins Gesicht gelegt, Rufino, denkt Jurema. Was hast du davon, Rufino? Wozu nützt dir die Rache, wenn du tot bist und mich allein gelassen hast in der Welt, Rufino? Sie weint nicht, sie rührt sich nicht, sie wendet die Augen nicht ab von den bewegungslosen Männern. Die Hand auf Rufinos Kopf erinnert sie daran, daß der Ausländer in Queimadas, als Gott zu ihrer aller Unglück wollte, daß er kam und ihrem Mann Arbeit anbot, Rufinos Schädel abgetastet und ihm seine Geheimnisse abgelesen hat, nicht anders wie der Zauberer Porfirio sie im Kaffeesatz liest und Dona Casilda in einem Glas Wasser.»Habe ich euch erzählt, wer im Gefolge von Moreira César in Calumbí aufgetaucht ist?« sagte Baron de Canabrava. »Dieser Journalist, der bei mir gearbeitet hat und den sich Epaminondas Gonçalves ins Jornal de Notícias geholt hat. Diese Jammergestalt mit einer Brille wie ein Tiefseetaucher, der im Gehen schrieb und sich anzog wie ein Clown. Erinnerst du dich an ihn, Adalberto? Er schrieb Gedichte und rauchte Opium.«
    Doch weder »Oberst« José Bernardo Murau noch Adalberto de Gumucio hörten ihm zu. Gumucio las in den Papieren, die ihnen der Baron am Eßtisch, auf dem noch die leeren Teetassen standen, eben zu Ende übersetzt hatte. Der alte Murau, der sich auf seinem Lehnstuhl bewegte, als säße er noch im Schaukelstuhl, schien zu schlafen. Doch der Baron wußte, daß er nachdachte über das, was er ihnen vorgelesen hatte.
    »Ich will nach Estela sehen«, sagte er und stand auf.
    Während er durch das verwahrloste, halbdunkle Herrenhaus zu dem Schlafzimmer ging, in das sie kurz vor dem Abendessen die Baronin gebracht hatten, überschlug er, welchen Eindruck das Testament des schottischen Abenteurers auf seine Freunde gemacht haben könnte. Im Gang, an dem die Schlafräume lagen, stolperte er über eine zerbrochene Fliese und dachte: In Salvador werden die Fragen weitergehen. Und sooft ich erklären werde, warum ich ihn habe gehen lassen, werde ich das Gefühl haben, eine Lüge zu sagen. Warum hatte er Galileo Gall gehen lassen? Aus Müdigkeit? Weil er alles satt hatte? Aus Sympathie? In Erinnerung an Gall und den kurzsichtigen Journalisten dachte er: Ich habe eine Schwäche für ausgefallene Leute, für das Anormale.
    Von der Schwelle aus sah er im schwachen rötlichen Schein der Öllampe, die auf dem Nachttisch stand, das Profil von Sebastiana. Sie saß am Fußende des Bettes auf einem mit Kissen ausgepolsterten Sessel, und obgleich sie nie eine fröhliche Frau gewesen war, wirkte sie nun so ernst, daß der Baron erschrak. Sie war aufgestanden, als sie ihn hatte eintreten sehen.
    »Hat sie ruhig geschlafen?« fragte der Baron, das Moskitonetz hebend, und beugte sich vor, um seine Frau zu beobachten. Sie hatte die Augen geschlossen, und im Halbdunkel erschien ihr Gesicht sehr blaß, aber entspannt. Das Laken hob und senkte sich leicht mit ihrem Atem.»Geschlafen ja, aber nicht ruhig«, murmelte Sebastiana, als sie ihn an die Schlafzimmertür zurückbegleitete. Sie sprach noch leiser, und der Baron gewahrte die Unruhe in den lebhaft blitzenden schwarzen Augen der Kammerfrau. »Sie träumt. Sie spricht im Schlaf, immer von demselben.«
    Sie wagt es nicht, Brand, Feuer, Flammen zu sagen, dachte der Baron bedrückt. Würden diese Wörter künftig tabu sein, würde er verbieten müssen, daß diese Wörter, die Estela mit dem Holocaust in Calumbí in Verbindung bringen konnte, in seinem Haus je wieder ausgesprochen wurden? Er hatte Sebastiana am Arm gefaßt in dem Versuch, sie zu beruhigen, fühlte sich aber so niedergeschlagen, daß ihm nichts einfiel, was er ihr hätte sagen können. An seinen Fingern fühlte er die glatte, warme Haut der Kammerfrau.
    »Die Senhora kann nicht hierbleiben«, flüsterte sie. »Bringen Sie sie nach Salvador. Die Ärzte müssen sie sehen, ihr etwas geben, ihr diese Erinnerungen aus dem Kopf nehmen. Sie kann nicht Tag und Nacht mit diesen Ängsten leben.«
    »Ich weiß, Sebastiana«, pflichtete der Baron bei. »Aber die Reise ist so lang, so anstrengend. Ich halte es für riskant, ihr in diesem Zustand noch eine solche

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