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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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in die Augen treiben, seine Gehörgänge verstopfen, sein Gehirn benebeln und seine Nasenlöcher in Ameisenhaufen verwandeln. Vorbeilaufende Soldaten, die sich, Gewehr in der Hand, die Tornister festschnallen, rempeln ihn an, und jetzt hört er auch Befehle.
    Oben entdeckt er Moreira César im Kreis seiner Offiziere. Er steht irgendwie erhöht und schaut mit dem Fernglas den Berg hinunter. Ringsum herrscht ein großes Durcheinander. Das weiße Pferd, gesattelt, tänzelt zwischen Soldaten und Trompetern, die mit Offizieren zusammenprallen, ankommenden und abgehenden, die rennen und Sätze brüllen, die das vom Niesen sausende Gehör des Journalisten kaum aufnimmt. Er hört die Stimme des Oberst: »Was ist mit der Artillerie, Cunha Matos?« Die Antwort geht in Trompetensignalen unter. Der Journalist legt die Ledertasche und das Schreibbrett ab und geht vor, um nach Canudos hinunterzuschauen.
    Die Nacht zuvor hat er es nicht gesehen, und er denkt, daß Minuten oder Stunden später niemand mehr diesen Ort sehen wird. Hastig putzt er die beschlagenen Brillengläser mit einem Hemdzipfel, dann blickt er auf das, was ihm zu Füßen liegt. Das blaugraue Licht auf den Höhen hat die Senke von Canudosnoch nicht erreicht. Er hat Mühe, am Ende des Berghangs die Saaten und Steinfelder von den Lehmhäuschen und Holzhütten zu unterscheiden, die dicht gedrängt und verschachtelt eine weite Fläche bedecken. Aber sofort erkennt er die zwei Kirchen, eine kleine und eine sehr hohe mit imposanten, durch eine Plattform getrennten Türmen. Eben strengt er die Augen an, um im Zwielicht die Zone am Fluß auszumachen, der Wasser zu führen scheint, als ein Kanonenschuß losgeht: er wird hochgeschleudert und hält sich die Ohren zu. Doch die Augen schließt er nicht, die fasziniert eine Flamme auflodern und mehrere Häuser auffliegen sehen, aufgelöst in einen Wirbel von Holzstücken, Lehmbrocken, Blechteilen und anderen ununterscheidbaren Gegenständen, die explodieren, zerfallen und verschwinden. Die Kanonade wird stärker, und Canudos liegt begraben unter einer Rauchwolke, die langsam zu den Berghängen aufsteigt, da und dort sich öffnend zu Kratern, in denen Trümmer von Dächern und Mauern, von neuen Einschlägen hochgejagt, durch die Luft fliegen. Er hat den dummen Gedanken, daß die Wolke, wenn sie höher steigt, seine Nase erreichen und ihn zum Niesen reizen wird.
    »Worauf wartet die Siebte! und die Neunte! und die Sechzehnte!« sagt Moreira César so nahe bei ihm, daß er den Kopf wendet, und tatsächlich stehen der Oberst und seine Gruppe neben ihm.
    »Da greift die Siebte an, Exzellenz«, antwortet neben ihm Hauptmann Olimpio de Castro.
    »Und die Neunte und die Sechzehnte«, fügt in seinem Rücken überstürzt jemand hinzu.
    »Sie sind Zeuge eines Schauspiels, das Sie berühmt machen wird.« Oberst Moreira César klopft ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. Der Journalist kann nicht mehr antworten, denn der Offizier und sein Gefolge haben ihn hinter sich gelassen und weiter unten auf einem kleinen Bergvorsprung Stellung genommen.
    Die Siebte, die Neunte, die Sechzehnte was? denkt er. Kolonne, Truppe, Kompanie? Aber gleich darauf begreift er. Auf den umliegenden Hügeln rücken Regimentseinheiten mit blitzenden Bajonetten von drei Seiten gegen die rauchende Talsohle von Canudos vor. Die Kanonen feuern nicht mehr, und in der Stillehört der kurzsichtige Journalist plötzlich wieder die Glocken. Die Soldaten laufen, rutschen, springen über die Abhänge, schießen. Auch die Bergflanken überziehen sich allmählich mit Rauch. Das blau-rote Käppi Moreira Césars hebt und senkt sich zustimmend. Der Journalist geht die paar Meter, die ihn vom Chef des Siebten Regiments trennen, hinunter. Er hockt sich in eine Mulde zwischen den Offizieren und dem weißen Pferd, das eine Ordonnanz am Zügel hält. Er fühlt sich fremd, hypnotisiert, und der absurde Gedanke schießt ihm durch den Kopf, daß er gar nicht sieht, was er sieht.
    Ein leichter Wind beginnt die bleigrauen Rauchbuckel über der Stadt zu zerstreuen; er sieht sie dünner werden, zerfließen, abziehen in Richtung auf das offene Gelände, wo die Straße nach Jeremoabo sein muß. Jetzt kann er den Vormarsch der Soldaten verfolgen. Die rechts von ihm haben den Fluß erreicht und beginnen ihn zu überqueren; die roten, grünen, blauen Figürchen werden grau, verschwinden und tauchen am anderen Ufer wieder auf, als sich plötzlich eine Staubwand zwischen ihnen und Canudos erhebt.

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