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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Expedition zuzumuten. Aber vielleicht ist es noch gefährlicher, sie ohne Behandlung zu lassen. Morgen werden wir sehen. Geh jetzt schlafen. Auch du hast seit Tagen kein Auge zugetan.«
    »Ich bleibe die Nacht über bei der Senhora«, erwiderte Sebastiana herausfordernd.
    Der Baron, der sie sich wieder neben Estela setzen sah, dachte, daß sie noch immer eine Frau von festen und schönen, bewunderungswürdig gut erhaltenen Formen sei. Genau wie Estela, sagte er sich. Und gedachte in einem Anfall von Wehmut der heftigen, schlafraubenden Eifersucht, die in den ersten Jahren seiner Ehe die Kameraderie, die undurchdringliche Intimität zwischen beiden Frauen in ihm hervorgerufen hatte. Er ging ins Eßzimmer zurück und sah durch ein Fenster, daß der Nachthimmel bewölkt und ohne Sterne war. Lächelnd erinnerte er sich, daß er dieser Eifersucht wegen von Estela verlangt hatte, Sebastiana zu entlassen, und daß darüber der einzige ernsthafte Streit in ihrer Ehe ausgebrochen war. Als er das Eßzimmer betrat, stand ihm lebhaft, ungetrübt, schmerzhaft das Bild der Baronin vor Augen, als sie mit glühenden Wangen ihre Angestellte verteidigt und wiederholt hatte, wenn Sebastiana ginge, ginge sie auch. Diese Erinnerung, die lange Zeit ein Funke gewesen war, an dem sich sein Begehren entzündete, erschütterte ihn jetzt bis ins Mark. Er war dem Weinen nahe. Er fand seine Freunde in Mutmaßungen über das Gelesene vertieft.
    »Ein Aufschneider, ein Schwindler mit Phantasie, ein erstklassiger Gauner«, sagte »Oberst« Murau. »Keine Romanfigur ist in so viele Abenteuer verwickelt. Das einzige, was ich glaube, ist die Absprache mit Epaminondas, Waffen nach Canudos zu bringen. Ein Schmuggler, der sich das Zeug mit dem Anarchismus als Entschuldigung und Rechtfertigung ausgedacht hat.« »Entschuldigung? Rechtfertigung?« Adalberto de Gumucio hüpfte auf seinem Stuhl. »Das ist doch ein erschwerender Umstand.«
    Der Baron setzte sich neben sie und gab sich Mühe, sich für ihr Gespräch zu interessieren.
    »Das Privateigentum, die Religion, die Ehe, die Moral abzuschaffen, das hältst du für mildernde Umstände?« beharrte Gumucio. »Das ist doch schlimmer als Waffenschmuggel.«
    Die Ehe, die Moral, dachte der Baron. Und fragte sich, ob Adalberto bei sich zu Hause eine so enge Komplizenschaft wie die zwischen Estela und Sebastiana geduldet hätte. Bei dem Gedanken an seine Frau wurde ihm das Herz wieder schwer. Er beschloß, am Morgen abzureisen. Er schenkte sich ein Glas Portwein ein und nahm einen großen Schluck.
    »Ich neige eher dazu, die Geschichte für wahr zu halten«, sagte Gumucio. »Weil er mit solcher Natürlichkeit von allen diesen Dingen spricht, den Fluchten, den Morden, den abenteuerlichen Reisen, der sexuellen Enthaltsamkeit. Er ist sich des Ungewöhnlichen daran nicht bewußt. Das läßt darauf schließen, daß er es erlebt hat und die Ungeheuerlichkeiten, die er gegen Gott, die Familie und die Gesellschaft sagt, auch glaubt.«
    »Daß er daran glaubt, steht außer Zweifel«, sagte der Baron, den bittersüßen Geschmack des Porto auskostend. »In Calumbí habe ich ihn das oft genug sagen hören.«
    Der alte Murau füllte die Gläser nach. Während des Mittagessens hatten sie nicht getrunken, aber nach dem Kaffee hatte der Fazendeiro eine Flasche Portwein herausgeholt, die nun halb leer war. War sich bis zur Bewußtlosigkeit betrinken das Heilmittel, das er brauchte, um nicht mehr an Estelas Gesundheit zu denken?
    »Er verwechselt Wirklichkeit und Illusion, er weiß nicht, wo die eine endet und die andere beginnt«, sagte er. »Kann sein, daß er all diese Dinge aufrichtig erzählt und sie für bare Münze hält. Darauf kommt es nicht an. Denn er sieht die Dinge nicht mit den Augen, sondern mit den Ideen, mit seinen Überzeugungen. Erinnert ihr euch an das, was er über Canudos und die Jagunços schreibt? So ist es vermutlich mit allem. Gut möglich, daß ein Handgemenge mit Halunken in Barcelona oder eine Schmuggler-Razzia in Marseille für ihn Schlachten zwischen Unterdrückten und Unterdrückern sind, Schlachten in dem großen Krieg, der die Ketten der Menschheit zerbrechen soll.«
    »Und das Geschlechtsleben?« sagte José Bernardo Murau mit glitzernden Äuglein. Er war aufgedunsen, seine Stimme klang teigig. »Diese zehn Jahre Keuschheit, die schluckt ihr? Zehn Jahre Keuschheit, um Energien zu horten für die Revolution?«
    Aus der Art, wie er es sagte, schloß der Baron, daß er jeden Moment mit anrüchigen

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