Der Krieg am Ende der Welt
Soldaten.«
Jurema nickt. Sie müßte ihm danken dafür, daß er sie gerettet hat, ihm etwas Freundliches sagen. Doch sie fürchtet sich zu sehr vor Pajeú. Alle übrigen Jagunços stehen um sie herum und kommen ihr in ihren Grasmänteln, Waffen und Pfeifen nicht wie Wesen aus Fleisch und Blut, sondern wie Gestalten aus Märchen oder Alpträumen vor.
»Von hier kannst du nicht nach Belo Monte«, sagt Pajeú mit einer Grimasse, die wohl ein Lächeln sein soll. »Auf den Bergen stehen die Protestanten. Geh zurück auf den Weg nach Jeremoabo. Dort sind keine Soldaten.«
»Mein Mann«, murmelt Jurema und deutet auf den Wald. Ihre Stimme bricht in einem Aufschluchzen. Sie beginnt zu gehen, voll Angst, sich wieder bewußt, was geschehen ist, als die Soldaten kamen, und plötzlich erkennt sie den zweiten, den, der zusah und wartete, bis er an die Reihe kam: Sein nackter, blutiger Körper hängt an einem Baum, schaukelt neben der Uniform, die ebenfalls in den Zweigen befestigt ist. Jurema weiß, wohin sie gehen muß, ein Geräusch leitet sie, und tatsächlich entdeckt sie ein paar Meter weiter, in diesem mit Uniformen dekorierten Teil der Caatinga, Gall und Rufino. Siehaben die Farbe schmutziger Erde, sie müssen dem Tod nahe sein, aber sie kämpfen noch immer. Sie sind zwei ineinander verknotete Fetzen, sie schlagen sich mit den Köpfen, mit den Füßen, sie beißen und kratzen sich, aber so langsam, als würden sie spielen. Jurema bleibt vor ihnen stehen, und der Caboclo und die Jagunços bilden einen Kreis um sie und beobachten den Kampf. Es ist ein Kampf, der bald enden wird, zwei verschmierte, unkenntliche, unzertrennbare Gestalten, die sich kaum mehr bewegen und anscheinend gar nicht wahrnehmen, daß Dutzende neu angekommener Menschen um sie herumstehen. Sie keuchen, bluten, reißen sich gegenseitig Fetzen aus den Kleidern.
»Du bist Jurema, die Frau des Spurenlesers von Queimadas«, sagt neben ihr Pajeú, lebhaft. »Also hat er dich gefunden. Also hat er den Armen im Geist gefunden, der in Calumbí war.«
»Das ist der Spinner, der heute nacht in die Falle gestolpert ist«, sagt jemand auf der anderen Seite des Kreises: »Der solche Angst hatte vor den Soldaten.«
Jurema fühlt eine Hand in der ihren, eine kleine, rundliche Hand, die sich anklammert. Es ist der Zwerg. Froh und hoffnungsvoll sieht er sie an, als ob sie ihm das Leben gerettet hätte. Er ist verdreckt, er drückt sich an sie.
»Trenne sie, Pajeú, trenne sie«, sagt Jurema. »Rette meinen Mann, rette den ...«
»Alle zwei soll ich sie retten?« spottet Pajeú. »Willst du mit beiden leben?«
Jurema hört andere Jagunços über die Bemerkung des Nasenlosen lachen.
»Das ist eine Männersache, Jurema«, erklärt ihr Pajeú ruhig.
»Du hast sie da hinein verwickelt. Laß sie darin, sollen sie ihren Streit als Männer austragen. Wenn dein Mann überlebt, wird er dich töten, und wenn er stirbt, wird sein Tod auf dich fallen und du mußt ihn vor dem Vater verantworten. In Belo Monte wird dir der Ratgeber sagen, wie dir deine Schuld vergeben werden kann. Geh jetzt, denn hierher kommt der Krieg. Gelobt sei der gute Jesus Ratgeber.«
Die Caatinga bewegt sich, und Sekunden später sind die Jagunços verschwunden. Der Zwerg hält noch immer ihre Hand fest und schaut, wie sie. Jurema sieht, daß Gall einMesser zur Hälfte zwischen den Rippen stecken hat. Sie hört immer noch die Trompeten, die Glocken, die Pfeifen. Plötzlich endet das Gerangel der Männer, denn Gall rutscht aufheulend ein paar Meter von Rufino weg. Jurema sieht, wie er das Jagdmesser packt und unter neuem Brüllen aus sich herauszieht. Er blickt Rufino an, der ihn ebenfalls ansieht, offenen Mundes, mit leblosem Blick.
»Du hast mir noch nicht die Hand ins Gesicht gelegt«, hört sie Gall sagen, der Rufino mit dem Messer zu sich heranwinkt. Jurema sieht Rufino nicken und denkt: Sie verstehen sich. Sie weiß nicht, was dieser Gedanke eigentlich besagt, fühlt aber, daß er stimmt. Rufino kriecht auf Gall zu, sehr langsam. Wird er ihn noch erreichen? Mit den Ellbogen, den Knien schiebt er sich vorwärts, schmiegt das Gesicht in den Schmutz wie ein Wurm, und Gall, das Messer schwenkend, lockt ihn. Männersachen, denkt Jurema. Sie denkt: Die Schuld wird auf mich fallen. Rufino kommt bei Gall an, der das Messer in ihn einzubohren versucht, während ihn der Spurenleser ins Gesicht schlägt. Doch der Schlag verliert an Kraft bei der Berührung, weil Rufino nicht mehr die nötige Energie hat
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