Der Krieg am Ende der Welt
Wasser gehen, scheinen zu scheuen, sich aufzubäumen, obwohl sie wie wild gespornt, mit Händen, Stiefeln, Säbeln geschlagen werden. Es ist, als ob sie Angst hätten vor dem Fluß. Mitten in der Strömung kehren sie um, und ein paar haben ihre Reiter abgeworfen.
»Sie müssen Fallen aufgestellt haben«, sagt ein Offizier.
»Sie werden aus dem toten Winkel beschossen«, murmelt ein anderer.
»Mein Pferd«, schreit Moreira César, und der kurzsichtige Journalist sieht ihn den Feldstecher einer Ordonnanz geben. Und während er aufsitzt, ärgerlich: »Die Leute brauchen eine Aufmunterung. Übernehmen Sie den Befehl, Olimpio.«
Sein Herz schlägt schneller, als er den Oberst den Säbel ziehen, das Pferd spornen und eilig den Hang hinunterreiten sieht. Doch er ist noch keine fünfzig Meter weit, als er ihn vornüber sinken und sich am Hals des Pferdes festhalten sieht, das sofort stehenbleibt. Er sieht, daß der Oberst wendet – kehrt er um zum Befehlsstand? –, doch als erhielte es widersprüchlicheBefehle, dreht sich das Pferd zweimal, dreimal im Kreis. Nun begreift er, warum Offiziere und Eskorten aufschreien und mit gezogenem Revolver den Berg hinunterrennen. Moreira César stürzt, und fast zur selben Zeit verdecken ihn der Hauptmann und die anderen Offiziere, die ihn aufgehoben haben und jetzt in aller Eile nach oben tragen. Unter Schüssen und anderen Geräuschen erhebt sich ein wildes Geschrei.
Verstört, unschlüssig, sieht er die Gruppe von Männern den Abhang heraufkommen, hinter ihnen das Pferd mit schleifendem Zügel. Er ist allein, und der Schrecken darüber treibt ihn nach oben. Als er ausrutschend, aufstehend, kriechend oben angelangt ist und auf das Zelt zuläuft, nimmt er mit halbem Blick wahr, daß kaum mehr Soldaten zugegen sind. Außer einer Gruppe am Zelteingang sieht er nur noch den einen oder anderen Posten. »Können Sie Doktor Souza Ferreiro helfen?« hört er, und obwohl es der Hauptmann ist, der ihn anspricht, erkennt er seine Stimme nicht, kaum das Gesicht. Er nickt, und Olimpio de Castro schiebt ihn so heftig vorwärts, daß er mit einem Soldaten zusammenstößt. Im Zelt sieht er Doktor Souza Ferreiro von hinten, über die Bahre gebeugt, und die Füße des Oberst.
»Krankenwärter?« Souza Ferreiro dreht sich um, und sein Blick wird gallig, als er auf ihn trifft.
»Ich habe Ihnen gesagt, daß keine Krankenwärter da sind«, schreit ihn Hauptmann de Castro an und schüttelt den kurzsichtigen Journalisten. »Sie sind unten bei den Bataillonen. Er soll Ihnen helfen.«
Die Nervosität der beiden überträgt sich auf ihn, er möchte schreien, mit den Füßen um sich schlagen.
»Die Geschosse müssen heraus, oder die Infektion macht ihn fertig«, jammert Doktor Souza Ferreiro und schaut nach links und rechts, als hoffe er auf ein Wunder.
»Tun Sie das Unmögliche«, sagt der Hauptmann. »Ich kann den Befehlsstand nicht verlassen, ich muß Oberst Tamarindo benachrichtigen, damit er ...«
Ohne den Satz zu beenden, geht er.
»Krempeln Sie die Ärmel hoch, reiben Sie sich mit Desinfektionsmittel ab«, schreit der Doktor.
Der Journalist gehorcht, so rasch seine Benommenheit eszuläßt, und in der Betäubung, die sich seiner bemächtigt hat, sieht er sich einen Moment später auf dem Boden knien und mit einem Ätherstrahl Mullbinden anfeuchten, die er Oberst Moreira César auf Nase und Mund legt, damit er schläft, während der Arzt operiert. »Zittern Sie nicht, stellen Sie sich nicht an, halten Sie den Äther an die Nase«, sagt ihm der Doktor ein paarmal. Er konzentriert sich auf seine Funktion – den Schlauch öffnen, den Stoff tränken, ihn an diese messerscharfe Nase halten, an diese Lippen, die sich in unaufhörlicher Angst verzerren – und denkt an den Schmerz, den dieser kleine Mann fühlen muß, über dessen offenen Bauch Doktor Souza Ferreira das Gesicht beugt, als wollte er ihn beriechen oder belecken. Gegen seinen Willen wirft er immer wieder einen Blick auf die Blutflecke an Hemd, Händen und Uniform des Arztes, an der Bettdecke, an seiner eigenen Hose. Wieviel Blut Platz hat in so einem kleinen Körper! Er denkt: Wieso habe ich keinen Hunger, keinen Durst? Der Verwundete liegt mit geschlossenen Augen, doch manchmal bewegt er sich auf der Stelle, und dann knurrt der Arzt: »Mehr Äther, mehr Äther.« Doch die letzte Flasche ist schon beinahe leer, und er sagt es mit einem Gefühl von Schuld.
Ordonnanzen kommen und bringen mehrere dampfende Schüsseln. Darin wäscht der
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