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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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getötet, Antônio«, sagte ein Jagunço. »Nehmt ihre Gewehre mit«, gab er zurück. An den Häusern gingen Türen auf, hustend, lachend, winkend kamen Leute heraus. Und da waren auch Antônia, seine Frau, und Assunção und hinter ihnen Catarina, die Frau João Abades. »Schau hin«, sagte ein Jagunço, ihn schüttelnd. »Schau, wie sie in den Fluß springen.«
    Rechts und links der welligen Dächer der Santa Ana waren Uniformierte zu sehen, die den Hügel hinunterrannten, andere, die in den Fluß sprangen, manche, die vorher noch ihr Gewehr wegwarfen. Aber noch mehr erstaunte ihn, daß gleich die Nacht anbrechen würde. »Nehmen wir ihnen die Waffen ab«, schrie er, so laut er konnte. »Los, Kerle, man soll eine Arbeit nicht halb tun!« Mehrere Jagunços liefen mit ihm an den Fluß, und einer fing an und schrie: »Nieder mit der Republik, Nieder mit dem Antichrist!« und ließ den Ratgeber und den guten Jesus hochleben.In diesem Schlaf, der Schlaf ist und doch nicht ist, der die Grenze zwischen Schlafen und Wachen auflöst und ihn an Opiumnächte in seinem schlampigen Häuschen in Salvador erinnert, hat der kurzsichtige Journalist vom Jornal de Notícias das Gefühl, daß er nicht geschlafen, sondern gesprochen und sprechen gehört hat, daß er zu diesen gesichtlosen Gefährten, die mit ihm die Caatinga, den Hunger und die Unsicherheit teilen, gesagt hat: Nicht verirrt zu sein und nicht zu wissen, was geschehen wird, wenn der Tag anbricht, sei das Schlimmste für ihn, sondern seine Ledertasche verloren zu haben und mit ihr diese Rollen beschriebenen Papiers, die er zwischen seiner Wäsche verwahrt hatte. Er ist sich sicher, daß er ihnen auch Dinge gesagt hat, deren er sich schämt: daß er vor zwei Tagen, als ihm die Tinte ausging und sein letzter Gänsekiel brach, wie über den Tod eines nahen Verwandten in Tränen ausgebrochen sei. Und er ist sich sicher – sicher in dieser ungewissen, unzusammenhängenden, fließenden Weise, in der auch in der Welt des Opiums alles geschieht, gesagt oder aufgenommen wird –, daß er die ganze Nacht über, ohne Ekel zu empfinden, Hände voll Gras, Blätter, Zweige, womöglich Insekten gekaut hat, unenträtselbare, trockene oder feuchte, schleimige oder feste Substanzen, die er und seine Gefährten sich von Hand zu Hand reichten. Und er ist sich sicher, ebenso viele persönliche Bekenntnisse gehört zu haben, wie er selber abgelegt zu haben glaubt. Die Frau ausgenommen, haben wir alle eine unermeßliche Angst, denkt er. Das hat ihm auch Pater Joaquim zugegeben, dem er als Kopfkissen gedient hat und der seines gewesen ist: daß er die eigentliche Angst erst an diesem Tag kennengelernt habe, festgebunden am Baum, wartend, daß ein Soldat käme, ihm den Hals abzuschneiden, horchend auf die Schießereien, das Kommen und Gehen, das Eintreffen der Verwundeten: eine unendlich größere Angst als alles, wovor er sich je gefürchtet habe, einschließlich Hölle und Teufel. Hat es der Pfarrer unter Stöhnen gesagt, hat er manchmal Gott um Verzeihung gebeten für das, was er gesagt hat? Aber noch mehr Angst hat der, vom dem die Frau sagt, er sei ein Zwerg. Denn mit einer Fistelstimme, so entstellt, wie vermutlich sein Körper entstellt ist, hat er unaufhörlich gewimmert und gefaselt von bärtigen Frauen, Zigeunern, Kraftmenschen und einem Mann ohne Knochen, der sich vierfach zusammenlegen ließ. Wie sieht dieser Zwerg aus? Ob die Frau seine Mutter ist? Was tun die beiden hier? Und wie ist es möglich, daß sie keine Angst hat? Denn in dem sanften Gemurmel, in dem sie hin und wieder gesprochen hat, nicht von dem, was allein noch Sinn hat, der Angst vor dem Sterben, sondern von dem Hochmut eines Menschen, der tot ist und nicht beerdigt, der naß wird, kalt wird, benagt von allen möglichen Tieren, hat der kurzsichtige Journalist etwas entdeckt, das noch zersetzender, noch verheerender, noch herzzerreißender ist. Ist sie eine Geistesgestörte, ein Mensch, der keine Angst mehr hat, weil er solche Angst hatte, daß er verrückt wurde?
    Er fühlt, daß er gerüttelt wird. Er denkt: Meine Brille. Er sieht einen grünlichen Schimmer, Schatten, die sich bewegen. Und während er seinen Körper und den Boden um sich abtastet, hört er Pater Joaquim: »Wachen Sie auf, es ist Morgen, versuchen wir, den Weg nach Cumbe zu finden.« Endlich hat er sie entdeckt, zwischen seinen Beinen, unversehrt. Er putzt sie, steht auf, stammelt: »Gehen wir, gehen wir«, und während er sich die Brille aufsetzt und

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