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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Frau und dieser ...« Wegen der Schüsse kann er den Satz nicht beenden. »Gehen Sie nach Belo Monte, Pater, dort ist es ruhig«, sagt João Abade, während er kehrt macht und, gefolgt von seinen Jagunços, den Hang hinunterrennt. Vom Boden aus erkennt der kurzsichtige Journalist in einiger Entfernung plötzlich Tamarindo, der mitten in einem Gestiebe von Soldaten die Hände an den Kopf hebt. Unordnung und Verwirrung sind nun total; die Kolonne scheint endgültig zersprengt und aufgelöst zu sein. Die Soldaten laufen mutlos, verschreckt, verfolgt, und vom Boden aus, den Mund voll Erde, sieht der kurzsichtige Journalist, wie sich der dunkle Fleck von Menschen zerstreut, zerteilt, vermischt, er sieht fallende, kämpfende, ringende Gestalten, und immer wieder kehren seine Augen zurück zu der Stelle, wo der alte Tamarindo gefallen ist. Ein paar Jagunços beugen sich über ihn. Geben sie ihm den Gnadenschuß? Aber sie verweilen zu lange, hocken immer noch, und endlich entdecken die Augen des kurzsichtigen Journalisten, brennend vor Anstrengung, daß sie ihn ausziehen.
    Er spürt einen bitteren Geschmack im Mund, verschluckt sich beinahe und wird sich bewußt, daß er automatisch die Erde kaut, die er beim Fallen in den Mund bekommen hat. Er spuckt aus, immer noch auf den gewaltigen Staubwirbel starrend, der entstanden ist, auf die Flucht der Soldaten. In alle Richtungen laufen sie auseinander, die einen schießend, die anderen ihre Waffen, Kisten, Bahren auf die Erde oder in die Luft werfend, und obwohl sie schon weit sind, kann er sehen, daß sie in ihremwilden, besinnungslosen Lauf auch ihre Kappen, ihre Uniformjacken, Koppeln und Patronengürtel abwerfen. Warum ziehen sie sich aus, was für einen Wahnsinn sieht er da? Er errät, daß sie sich alles abreißen, was sie als Soldaten zu erkennen gibt, damit sie im allgemeinen Gewühl für Jagunços gehalten werden. Pater Joaquim steht auf und läuft wieder, wie vorhin. Diesmal aber auf merkwürdige Weise, indem er Kopf und Hände schwenkt, zu Verfolgten und Verfolgern spricht und schreit. Er rennt mitten in die Kugeln hinein, in das Gemetzel, in die Vernichtung, denkt er. Seine Augen begegnen denen der Frau, die ihn erschrocken und Rat suchend ansieht. Und da springt auch er, einem Impuls folgend, auf und schreit: »Wir müssen bei ihm bleiben, nur er kann uns retten.« Sie erhebt sich und beginnt zu laufen, den Zwerg hinter sich her ziehend, der laut kreischt, die Augen hervorquellend, das Gesicht voll Erde. Der kurzsichtige Journalist verliert sie bald aus den Augen, da er durch längere Beine oder größere Angst im Vorteil ist. Er läuft rasch, gebückt, den Kopf in den Schultern, hypnotisiert von dem Gedanken, daß eine dieser brennenden, pfeifenden Kugeln für ihn bestimmt ist, daß er auf sie zuläuft, daß eine dieser Sicheln, Macheten, Bajonette, die er flüchtig sieht, auf ihn wartet, um seinen Lauf zu beenden. Doch er rennt weiter zwischen Wolken von Staub, sieht, sieht nicht, sieht wieder die rundliche, wie mit Windmühlenflügeln schwirrende Gestalt des Pfarrers von Cumbe. Plötzlich verliert er ihn ganz aus den Augen. Während er ihn verflucht und haßt, denkt er: Wohin geht er, warum läuft er so, warum will er, daß er stirbt und auch wir sterben? Obwohl völlig außer Atem – die Zunge hängt ihm heraus, er schluckt Staub und sieht fast nichts, denn seine Brille ist verdreckt –, läuft er weiter, strampelt sich ab. Die wenigen Kräfte, die ihm noch bleiben, sagen ihm, daß sein Leben von Pater Joaquim abhängt.
    Als er zu Boden fällt, weil er gestolpert ist oder seine Beine vor Müdigkeit eingeknickt sind, überkommt ihn ein merkwürdiges Wohlgefühl. Er legt den Kopf auf die Arme, versucht Luft in die Lungen zu bekommen, horcht auf seine Herzschläge. Besser sterben als weiterlaufen. Nach und nach erholt er sich, fühlt das Pochen in den Schläfen nachlassen. Ihm schwindelt, er spürt Brechreiz, erbricht aber nicht. Er nimmt die Brille ab, putzt sie.Setzt sie wieder auf. Um ihn stehen Leute. Er hat keine Angst, es kümmert ihn nicht mehr. Erschöpfung hat ihn von der Angst, der Ungewißheit, den Phantasien befreit. Übrigens scheint keiner ihn zu beachten. Sie sammeln Gewehre, Munition, Bajonette ein, aber seine Augen trügen nicht, von Anfang an wissen sie, daß diese Gruppe von Jagunços auch – da und dort und weiter drüben – mit der gleichen Umsicht, mit der sie Rindern und Ziegen den Kopf abschneiden, Leichen enthaupten, daß sie die Köpfe

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