Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
und wieder Schritte, Stimmen zu hören. Eine Uhr schlug neun.
    »Ich danke Ihnen für die Einladung«, sagte Epaminondas. »Ich nehme mit, was Sie mir gesagt haben, um es zu überdenken. Eine Antwort kann ich Ihnen jetzt nicht geben.«
    »Natürlich nicht«, sagte der Baron und erhob sich ebenfalls. »Denken Sie nach, und wir sprechen uns wieder. Natürlich würde ich Sie gerne noch vor meiner Abreise sehen.«
    »Übermorgen gebe ich Ihnen meine Antwort«, sagte Epaminondas auf dem Weg zur Tür.
    Als sie durch den Salon gingen, erschien der schwarze Diener mit dem Leuchter. Der Baron begleitete Epaminondas bis an die Straße. Am Gitter fragte er ihn:
    »Haben Sie Nachrichten von Ihrem Journalisten, dem, der Moreira César begleitet hat?«
    »Der Exzentriker?« sagte Epaminondas. »Er ist nicht wieder aufgetaucht. Sie werden ihn umgebracht haben, nehme ich an. Wie Sie wissen, war er nicht eben ein Mann der Tat.«
    Sie verabschiedeten sich mit einer leichten Verbeugung.

Vier

I
    Als ihm ein Diener sagte, wer ihn sprechen wolle, lief Baron de Canabrava, anstatt ihm, wie allen, die sein Haus aufsuchten, ausrichten zu lassen, er mache und empfange keine Besuche, die Treppe hinunter, durchquerte die weiträumigen, von der Morgensonne durchfluteten Säle und ging zur Eingangstür, um nachzusehen, ob er nicht falsch gehört hatte. Er war es, leibhaftig. Wortlos reichte er ihm die Hand und ließ ihn eintreten. Schlagartig kehrte ihm ins Gedächtnis zurück, was er seit Monaten zu vergessen suchte: der Brand von Calumbí, Canudos, der Zustand Estelas, sein Rückzug aus dem öffentlichen Leben.
    Schweigend, die Überraschung über den Besuch und das Wiederauftauchen der Vergangenheit überspielend, führte er ihn in den Raum, in dem er alle wichtigen Begegnungen abhielt: das Arbeitszimmer. Obwohl noch früh am Morgen, war es heiß. Draußen, über den Rizinusstauden, den Mango- und Feigen- und Guajavenbäumen im Garten war das Meer unter der Sonne weiß wie eine Stahlplatte. Der Baron zog die Vorhänge zu, und der Raum lag im Schatten.
    »Ich wußte, daß mein Besuch Sie überraschen würde«, sagte der Besucher, und der Baron erkannte die näselnde Komikerstimme wieder. »Ich erfuhr, daß Sie aus Europa zurück seien, und da ... trieb es mich her. Ich sage es Ihnen ohne Umschweife. Ich bin gekommen, Sie um Arbeit zu bitten.«
    »Nehmen Sie Platz«, sagte der Baron.
    Er hörte ihn wie im Traum, ohne seinen Worten Aufmerksamkeit zu schenken, ganz damit beschäftigt, sein Äußeres zu mustern und es mit der Gestalt vom letztenmal zu vergleichen, mit der Vogelscheuche, die er an jenem Morgen neben Oberst Moreira César und seiner kleinen Eskorte hatte abreiten sehen. Er ist es und ist es nicht, dachte er. Denn der Journalist, der erst am Diário de Bahia , dann am Jornal de Notícias gearbeitet hatte, war ein junger Mann gewesen, und dieser Mensch mit den dicken Brillengläsern, der beim Setzen in vier oder sechs Teile zu zerfallen schien, war ein Greis. Sein Gesicht war zerfurcht, graue Strähnen melierten sein Haar, sein Körperwirkte zerbrechlich. Er trug ein nicht zugeknöpftes Hemd, eine ärmellose Weste mit großen speckigen Stellen oder Fettflecken, eine ausgefranste Hose und Viehtreiberstiefel.
    »Jetzt erinnere ich mich«, sagte der Baron. »Irgend jemand hat mir geschrieben, daß Sie am Leben seien. Ich erfuhr es in Europa. ›Ein Gespenst geht um‹, so wurde mir geschrieben. Trotzdem hielt ich Sie weiterhin für verschwunden, für tot.«
    »Ich bin weder gestorben noch verschwunden«, sagte die näselnde Stimme, ohne eine Spur von Humor. »Seit ich jeden Tag zu hören bekomme, was Sie eben gesagt haben, ist mir klargeworden, daß sich die Leute betrogen fühlen, weil ich immer noch am Leben bin.«
    »Wenn ich aufrichtig sein soll, ist es mir völlig egal, ob Sie leben oder tot sind«, hörte er sich, überrascht über seine Roheit, sagen. »Vielleicht wäre es mir lieber, Sie wären tot. Ich hasse alles, was mich an Canudos erinnert.«
    »Ich habe die Sache mit Ihrer Gattin erfahren«, sagte der kurzsichtige Journalist, und der Baron ahnte die Unverschämtheit, die unausweichlich kommen würde. »Daß sie den Verstand verloren hat und daß es für Sie ein großes Unglück ist.«
    Der Baron warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen ließ. Er räusperte sich, blinzelte, nahm die Brille ab, um sie an seinem Hemd blankzuputzen. Der Baron war froh, daß er dem Impuls, ihn hinauszuwerfen, nicht nachgegeben hatte.
    »Jetzt

Weitere Kostenlose Bücher