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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Mocambira hat es gesagt.«
    »Auch die Schwarzen aus Mocambo und alle anderen«, sagt João Abade. »Aber es stimmt, sie waren tapfer. Und die Indios aus Mirandela hatten weder Karabiner noch Gewehre.«
    Sie wollten keine, sei es aus Laune, Aberglaube, Mißtrauen,weshalb auch immer. Er, die Vilanova, Pedrão, João Grande, die Macambira hatten mehrmals versucht, ihnen Feuerwaffen, Sprengkörper, Kugeln zu geben. Jedesmal hatte der Kazike energisch den Kopf geschüttelt und in einer Art Abscheu abwehrend die Hände ausgestreckt. Kurz vor der Ankunft des Halsabschneiders hatte er selbst sich erboten, ihm zu zeigen, wie ein Stutzen, eine Araberflinte, ein Gewehr geladen, gereinigt und abgeschossen wird. Die Antwort war nein gewesen. João Abade hatte daraus geschlossen, daß sie auch diesmal nicht kämpfen würden. Zu dem Gefecht in Uauá waren sie nicht mitgegangen, und bei der Schlacht am Cambaio hatten sie nicht einmal ihre Hütten verlassen, als wäre dieser Krieg nicht auch ihrer gewesen. »Auf dieser Seite ist Belo Monte nicht verteidigt«, hatte er gesagt. »Beten wir zum guten Jesus, daß sie nicht von dieser Seite kommen.«
    Doch sie sind auch von dieser Seite gekommen. Die einzige, auf der sie nicht durchkamen, denkt João Abade. Sie waren es gewesen, diese finsteren, abweisenden, unbegreiflichen, nur mit Bogen, Speer und Messer kämpfenden Geschöpfe, die es verhindert hatten. Ein Wunder? Die Augen seiner Frau suchend, fragt João Abade:
    »Weißt du noch, wie wir das erstemal mit dem Ratgeber nach Mirandela gegangen sind?«
    Sie nickt. Sie sind fertig mit dem Essen, und Catarina stellt Schüssel und Löffel auf den Herdrand. Dann sieht João sie auf sich zukommen, schmal, ernst, barfuß, mit dem Kopf die rußige Decke streifend, und sich neben ihm niederlegen. Er schiebt ihr den Arm um die Schulter und rückt sie vorsichtig zurecht. Sie liegen still, horchen auf die nahen und fernen Geräusche von Canudos. Stundenlang können sie so liegen, und vielleicht sind das die tiefsten Augenblicke ihres gemeinsamen Lebens.
    »Damals haßte ich dich noch so, wie du Custodia haßtest«, flüstert Catarina.
    Mirandela, ein Indianerdorf, im 18. Jahrhundert von Missionaren der Mission von Massacará gegründet, war eine merkwürdige Enklave im Sertäo von Canudos. Vier Meilen sandiges Gelände, eine dicht bewachsene, stachlige, stellenweise undurchdringliche Caatinga, trennten sie von Pombal, und die Luft war so glühend heiß, daß einem die Lippen aufsprangenund die Haut zu Pergament vertrocknete. Das Dorf der Kariri-Indianer, auf der Höhe eines Berges errichtet, war seit undenklichen Zeiten ein Schauplatz wilder Streitereien – und manchmal wahrer Blutbäder –, die sich Einheimische und Weiße um die besten Böden lieferten. Die Indios lebten zurückgezogen in ihrem Dorf. Ihre Hütten lagen verstreut um die Kirche des Senhor da Ascensão, ein zweihundert Jahre alter, strohgedeckter Bau vor einem Platz, auf dem nur ein paar Kokospalmen und ein Holzkreuz standen. Die Weißen lebten ringsum in ihren Fazendas, und diese Nachbarschaft war kein friedliches Zusammenleben, sondern ein schwelender Krieg, der periodisch mit gegenseitigen Überfällen, Plünderungen und Morden ausbrach. Die paar Hundert Indios von Mirandela gingen halbnackt, sprachen eine von häufigem Ausspucken begleitete Eingeborenensprache und jagten mit vergifteten Pfeilen und Speeren: ein finsteres, jämmerliches Völkchen, eingeschlossen im Bezirk ihrer Hütten und Maissaaten, die so ärmlich waren, daß nicht einmal Räuber und Mobile Einheiten kamen, um Mirandela zu überfallen. Sie waren wieder zu Ketzern geworden. Seit Jahren konnten Kapuzinerpatres und Lazaristen in diesem Dorf nicht mehr predigen, denn kaum tauchten sie auf, verzogen sich die Indios mit ihren Frauen und Kindern in die Caatinga, bis die Mönche es aufgaben und nur noch den Weißen predigten. João Abade erinnert sich nicht mehr, wann der Ratgeber beschloß, nach Mirandela zu gehen. Die Zeit der Wanderschaft verläuft für ihn nicht geradlinig, mit einem Vorher und Nachher, sondern kreisförmig in einer Wiederholung gleichförmiger Tage und Ereignisse. Doch erinnert er sich noch, wie es war. Eines Morgens, nachdem sie die Kapelle von Pombal wiederhergestellt hatten, nahm der Ratgeber den Weg nach Norden, über eine Reihe scharfkantiger, klobiger Bergrücken direkt auf die Indianersiedlung zu, in der kurz zuvor eine weiße Familie ermordet worden war. Keiner sagte ein Wort, denn nie

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