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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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lautstark unterhalten, während sie Gerüste aus Zuckerrohr errichten und sie mit Händen voll Lehm auffüllen, um die eingestürzten Wände zu erneuern. Irgendwo hört er sogar eine Gitarre. Ohne es zu sehen, weiß er, daß Hunderte anderer Leute in diesem Augenblick am Ufer des Vaza Barris und an der Straße nach Jeremoabo hocken und jäten und Gärten und Ställe in Ordnung bringen. Auf den Straßen liegt kaum noch Schutt, und viele der abgebrannten Hütten stehen wieder. Das ist Antônio Vilanova, denkt er. Die Prozession, die sie zur Feier des Sieges von Belo Monte über die republikanischen Apostaten abhielten, war kaum zu Ende, da stand Antônio Vilanova schon an der Spitze von Freiwilligengruppen und Männern der Katholischen Wachmannschaft und organisierte die Bestattung der Toten, das Abräumen des Schutts, den Wiederaufbau der Hütten und Werkstätten, das Einfangen der ausgebrochenen Ziegen und Schafe. Auch sie sind es, denkt João Abade. Sie fügen sich in ihr Schicksal, sie sind Helden. Da stehen sie, ruhig, grüßen ihn, lächeln ihm zu, und am Abend werden sie zum Tempel des guten Jesus gehen und dem Ratgeber zuhören, als wäre nichts geschehen, als hätten nicht alle diese Familien mindestens einen, der im Krieg erschossen oder gespießt oder verbrannt wurde, als läge nicht mindestens einer der Ihren zwischen den stöhnenden Verwundeten in den Gesundheitshäusern oder der zur Krankenstation umgeräumten Kirche Santo Antônio.
    Da läßt ihn etwas jäh stillstehen. Er schließt die Augen, horcht. Er täuscht sich nicht, es ist kein Traum. Die eintönige, hohe Stimme rezitiert weiter. Aus den tiefsten Schichten seines Gedächtnisses steigt etwas hoch und nimmt Gestalt an, ein sprudelnder Strahl, der zum Fluß wird, sich verdichtet zum Klirren von Schwertern, zum Glanz von Schlössern und herrlichen Alkoven. Der Zweikampf von Ritter Olivier und Fierabras, denkt er. Es ist eine seiner Lieblingsepisoden aus den Geschichten um die zwölf Pairs von Frankreich, seit langer, langer Zeit hat er sie nicht mehr gehört. Die Stimme des Troubadours kommt von einer Kreuzung der Campo Grande herüber, und dort stehen auch Leute. Ein Kind erzählt die Gefangennahme Oliviers und seinen Kampf mit Fierabras. Nein, es ist ein Zwerg. Ein winziges, spindeldürres Männlein, es mimt das Gitarrenspiel, den Aufprall der Lanzen, den Galopp der Ritter, die höfischen Verneigungen vor Karl dem Großen. Auf dem Boden, eine Büchse zwischen den Beinen, sitzt eine Frau mit langem Haar, und neben ihr ein knochiger Mensch, schmutzbedeckt, mit dem Blick eines Blinden. Er erkennt sie wieder: es sind die drei, die mit Pater Joaquim nachCanudos gekommen sind und denen Antônio Vilanova erlaubt, im Laden zu schlafen. Er streckt den Arm aus und berührt das Männlein, das auf der Stelle verstummt:
    »Kannst du auch die schreckliche und beispielhafte Geschichte von Robert dem Teufel erzählen?« fragt er ihn.
    Der Zwerg nickt, zögernd.
    »Die würde ich gern einmal von dir hören«, beruhigt ihn der Straßenkommandant. Und läuft wieder, um die verlorene Zeit einzuholen. Da und dort haben die Kanonen Krater in die Campo Grande gerissen, die Fassade des ehemaligen Verwaltungsgebäudes ist durchsiebt von Einschlägen.
    »Gelobt sei der gute Jesus«, murmelte João Abade und setzt sich neben Pajeú auf ein Faß. Die Miene des Caboclo ist undurchdringlich, aber Antônio und Honório Vilanova, der alte Macambira, João Grande und Pedrão blicken düster. In ihrer Mitte steht, verstaubt von Kopf bis Fuß, das Haar zerzaust, unrasiert, Pater Joaquim.
    »Haben Sie in Juazeiro etwas erfahren, Pater?« fragt er ihn. »Kommen noch mehr Soldaten?«
    »Pater Maximiliano ist aus Queimadas herübergekommen, wie versprochen, und hat die komplette Liste mitgebracht«, räuspert sich Pater Joaquim.
    Er zieht ein Blatt Papier aus der Tasche und fängt schwer atmend zu lesen an: »Erste Brigade: Siebtes, Vierzehntes und Drittes Infanteriebataillon, unter dem Befehl von Oberst Joaquim Manuel de Madeiros. Zweite Brigade: Neunzehntes, Fünfundzwanzigstes und Siebenundzwanzigstes Infanteriebataillon, unter dem Befehl von Oberst Inácio Maria Gouveia. Dritte Brigade: Fünftes Artillerieregiment und Fünftes und Neuntes Infanteriebataillon, unter dem Befehl von Oberst Olímpio da Silveira. Divisionschef: General João da Silva Barboza. Chef der Expedition: General Artur Oscar.«
    Er hört auf zu lesen. Erschöpft und ratlos sieht er João Abade an.
    »Was macht

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