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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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befragte ihn jemand über seine Beschlüsse. Aber, wie João Abade, dachten viele auf diesem glühendheißen Tagesmarsch, als ihnen die Sonne die Schädel zu spalten schien, daß sie entweder in einem menschenleeren Dorf oder mit einem Pfeilhagel empfangen werden würden.
    Weder das eine noch das andere geschah. Am Abend stiegen derRatgeber und die Pilger den Berg hinauf und betraten, zur Prozession geordnet und Marienlieder singend, das Dorf. Die Indios empfingen sie ohne Scheu und ohne Feindseligkeit, in einer Haltung, die Gleichgültigkeit vortäuschte. Sie sahen sie auf dem freien Platz vor ihren Hütten haltmachen, ein Feuer anzünden und sich darum scharen. Sie sahen sie in die Kirche einziehen und die Stationen des Kalvarienbergs beten, und später hörten diese Leute mit den weißen und grünen Kerben und Strichen im Gesicht von ihren Hütten und Pferchen und Feldern aus den Ratgeber Rat erteilen. Sie hörten ihn vom Heiligen Geist sprechen, der die Freiheit ist, von den Schmerzen Marias, sie hörten ihn die innere Kraft des kargen Lebens, der Armut und des Opfers preisen und erklären, daß jedes Gott dargebrachte Leiden im anderen Leben ein Lohn sei. Dann hörten sie die Pilger des guten Jesus einen Rosenkranz für die Mutter Christi beten. Und am nächsten Tag, immer noch ohne näher zu kommen, ohne ein Lächeln oder eine freundschaftliche Geste, sahen sie die Pilger zum Friedhof ziehen, auf dem sie verweilten, um die Gräber zu säubern und das Gras zu schneiden.
    »Es ist eine Eingebung vom Vater gewesen, daß der Ratgeber damals nach Mirandela gegangen ist«, sagt João Abade. »Er hat ein Samenkorn ausgesät, und es hat geblüht.«
    Catarina sagt nichts, aber João weiß, daß sie wie er an den überraschenden Einzug in Belo Monte zurückdenkt: über hundert Indios waren mit ihrem Hausrat, ihren alten Leuten – manche auf Bahren –, ihren Kindern und Frauen gekommen. Jahre waren seit damals vergangen, aber niemand war sich darüber im Zweifel gewesen, daß die Ankunft dieser halbnackten, bemalten Leute die Gegenleistung für den Besuch des Ratgebers war. Die Kariris zogen nach Canudos ein, als beträten sie ihr Haus. Sie siedelten auf dem freien Gelände neben Mocambo, das Antônio Vilanova ihnen anwies, errichteten ihre Hütten und legten dazwischen ihre Saaten an. Sie kamen zur Stunde des Rats und radebrechten genügend portugiesisch, um den Ratgeber zu verstehen, lebten aber für sich. Nicht nur der Ratgeber besuchte sie, den sie jedesmal trampelnd und stampfend mit ihren seltsamen Tänzen empfingen, sondern auch die Brüder Vilanova, mit denen sie ihre Produktetauschten. João Abade hatte sie immer als Fremde empfunden. Jetzt nicht mehr. Denn an dem Tag, als der Halsabschneider Canudos angriff, sah er sie den Angriffen von drei Infanterie-Einheiten standhalten, die – zwei vom Vaza Barris her, die dritte über die Straße von Jeremoabo – direkt in dieses Viertel einfielen. Als er mit zwanzig Männern der Katholischen Wachmannschaft gekommen war, um diesen Sektor zu verstärken, war er verblüfft gewesen von der Zahl der Angreifer, die zwischen den Hütten herumliefen, und von der Verbissenheit, mit der die Indios Widerstand leisteten, von den Dächern aus ihre Pfeile abschossen und ihre Steinäxte und Holzspeere gegen die Feinde schleuderten. Im Zweikampf hängten sich die Kariris an ihre Angreifer, sogar ihre Frauen sprangen die Eindringlinge an, bissen und kratzten sie und versuchten ihnen unter lautem Gebrüll – sicherlich Flüchen und Verwünschungen – ihre Gewehre und Bajonette abzunehmen. Mindestens jeder Dritte von ihnen war am Ende des Kampfes tot oder verwundet.
    Klopfen an der Tür reißt João Abade aus seinen Gedanken. Catarina schiebt das mit Draht befestigte Brett zur Seite, und in einem Schwall von Staub, weißem Licht und Lärm steht eines der Kinder von Honório Vilanova auf der Schwelle. »Mein Onkel möchte den Straßenkommandanten sprechen«, sagt es.
    »Sag ihm, ich komme«, antwortet João Abade.
    Ein solches Glück konnte nicht von Dauer sein, denkt er und liest dem Gesicht seiner Frau ab, daß sie dasselbe denkt. Er zieht die mit Lederstreifen verstärkte Leinenhose, die Sandalen, den Kittel an und geht auf die Straße. Das gleißende Mittagslicht blendet ihn. Wie immer grüßen ihn die Kinder, die Frauen, die alten Leute, die vor ihren Häusern sitzen, und er winkt ihnen zu. Er geht an Frauen vorbei, die rund um den Mörser Mais mahlen, an Männern, die sich

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