Der Krieg am Ende der Welt
Da es so gut wie sicher ist, daß die Truppe durch Rosario kommt, wird beschlossen, daßMané Quadrado und Joaquim Macambira sich dort aufstellen. Pajeú und Felicio werden ihnen aus der Serra de Aracati Flankenschutz geben.
Bei Tagesanbruch ziehen Macambira und Mané Quadrado mit der Hälfte der Männer los. Pajeú bittet Felicio, mit seinen siebzig Jagunços nach Aracati vorauszugehen und seine Leute über die halbe Meile Weg zu verteilen, damit sie die Bewegungen des Bataillons in allen Einzelheiten kennenlernen. Er selbst bleibe noch hier.
Die Lagoa da Laje ist kein See – vielleicht war sie es einmal vor langer Zeit –, sondern eine feuchte Senke, in der früher Mais, Yuca und Bohnen angebaut wurden, wie sich Pajeú noch gut erinnert, da er häufig in den jetzt abgebrannten Hütten übernachtet hat. Nur ein Häuschen steht noch mit heiler Vorderfront und unversehrtem Dach. Ein Mann mit indianischem Einschlag sagt, darauf deutend, daß sie die Ziegel für den Tempel des guten Jesus brauchen könnten. In Belo Monte werden keine Ziegel mehr hergestellt, da in allen Öfen Kugeln gegossen werden. Pajeú nickt und befiehlt, das Haus abzudecken. Er verteilt die Männer in der Umgebung. Eben instruiert er den Spurensucher, den er nach Canudos schicken will, als Pferdegetrappel und Wiehern zu hören ist. Er wirft sich zu Boden und verkriecht sich zwischen den Steinen. Aus der Deckung heraus sieht er, daß auch seine Männer Zeit gehabt haben, sich zurückzuziehen, ehe die Patrouille auftaucht. Alle, außer denen, die das Dach abdeckten. Er sieht, wie ein Dutzend Reiter drei Jagunços nachsetzen, die im Zickzack in verschiedene Richtungen auseinanderlaufen. Sie verschwinden in den Steinfeldern, anscheinend ohne verwundet worden zu sein. Aber der vierte hat es nicht geschafft, vom Dach herunterzukommen. Pajeú versucht ihn zu identifizieren: nein, es ist zu weit. Eine Zeitlang beobachtet der Mann die Reiter, dann hebt er die Hände über den Kopf, zum Zeichen, daß er sich ergibt. Aber plötzlich springt er auf einen Reiter hinunter. Will er sich das Pferd nehmen und im Galopp davon? Es klappt nicht, der Soldat reißt ihn mit sich zu Boden. Der Jagunço teilt nach allen Seiten Schläge aus, bis der, der die Patrouille befehligt, aus nächster Nähe auf ihn schießt. Man merkt ihm an, daß er ihn widerwillig tötet, daß er seinen Vorgesetzten lieber einenGefangenen gebracht hätte. Die Patrouille zieht sich zurück, beobachtet von den Männern in ihren Verstecken. Befriedigt stellt Pajeú fest, daß sie der Versuchung, diese Handvoll Hunde zu töten, widerstanden haben.
Er läßt Taramela an der Lagoa da Laje zurück, damit er den Toten begräbt, und geht, um auf einer Anhöhe Stellung zu beziehen, die auf halbem Weg nach Aracati liegt. Er läßt seine Männer nun nicht mehr zusammen gehen, sondern einzeln, und vom Fahrweg Abstand haltend. Kurz bevor er das Felsenmassiv erreicht – ein guter Aussichtspunkt –, erscheint die Vorhut. Pajeú spürt die Narbe in seinem Gesicht, ein Ziehen, als würde eine Wunde aufplatzen. Das passiert ihm immer in kritischen Momenten, wenn er etwas Außergewöhnliches erlebt. Soldaten, ausgerüstet mit Picken, Schaufeln, Macheten und Sägen, richten den Weg her, ebnen, fällen Bäume, räumen Steine aus. In der Serra de Aracati, die felsig und hindernisreich ist, müssen sie ein hartes Stück Arbeit gehabt haben. Sie kommen mit nacktem Oberkörper, die Hemden um die Hüften gebunden, in Dreierreihen, vorneweg ein Offizier zu Pferd. Ja, es müssen viele Hunde sein, wenn schon die, die den Weg herrichten, über zweihundert sind. Pajeú erkennt auch einen Spurensucher von Felicio, der den Schanzarbeitern nachschleicht.
Es ist früher Nachmittag, als die erste der neun Einheiten anrückt. Als die letzte durch ist, steht der Himmel voller Sterne, und ein runder Mond gießt einen sanften gelben Schimmer über den Sertão. Manchmal dicht hintereinander, manchmal kilometerweit getrennt, sind sie vorbeimarschiert, in Uniformen von wechselnden Farben und Schnitt – grünliche, blaue mit roten Streifen, graue mit goldenen Knöpfen, mit Koppeln, mit Käppis, mit Viehtreiberhüten, mit Reitstiefeln, mit groben Stiefeln, mit Hanfschuhen – zu Fuß und zu Pferd. In der Mitte jeder Einheit Kanonen, von Ochsengespannen gezogen. Pajeú – unentwegt spürt er die Narbe in seinem Gesicht – zählt die Munition und die Lebensmittel: sieben Ochsenwagen, dreiundvierzig Eselskarren, an die zweihundert
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