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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Blick des anderen Soldaten – Argimiro –, den Frutuoso Medrado ebenfalls wiedererkennt, das Bajonett in die Gurgel. Er kann sich gerade noch sagen, daß es Corintio also doch gewußt hat.

III
    »Wie hätten sie ihnen nicht glauben sollen, die Leute in Rio, in São Paulo, die auf die Straße liefen, um die Monarchisten zu lynchen, wo doch selbst die es glaubten, die vor Canudos standen und mit eigenen Augen die Wahrheit hätten sehen können«, sagte der kurzsichtige Journalist.
    Er war aus dem Ledersessel auf den Boden gerutscht und da saß er, auf dem Holz, mit angezogenen Knien, auf einem sein Kinn, und sprach, als ob der Baron nicht da wäre. Es war früher Nachmittag, und die Abstrahlung des Sonnenlichts, das durch die Stores vor dem Garten sickerte, umfing sie heiß und betäubend. Der Baron hatte sich an die jähen Sprünge seines Gesprächspartners gewöhnt, der, einem inneren Drang folgend, übergangslos von einem Thema zum andern wechselte, und störte sich nicht mehr an der vielfach gebrochenen Linie dieses Gesprächs, das in manchen Augenblicken intensiv und sprühend war, dann wieder in langen Pausen stagnierte, in denen manchmal er, manchmal der Journalist und manchmal beide sich in sich zurückzogen, um nachzudenken.
    »Die Korrespondenten«, erklärte der kurzsichtige Journalist, sich krümmend in einer jener unvorhersehbaren Bewegungen, die seine magere Gestalt verkrampften und jeden Wirbel einzeln auszurenken schienen. Die Lider hinter den Brillengläsern zuckten sehr rasch. »Sie hätten sehen können, aber sie haben nicht gesehen. Sie haben nur das gesehen, was zu sehen sie gekommen waren. Auch wenn das gar nicht da war. Und es waren nicht einer oder zwei. Alle haben schlagende Beweise für eine monarchistisch-britische Verschwörung gefunden. Wie ist das zu erklären?«
    »Die Leichtgläubigkeit der Leute, ihr Verlangen nach Phantasie, nach Illusion«, sagte der Baron. »Irgendwie mußte das Unvorstellbare erklärt werden, daß Banden von Bauern und Vagabunden drei Strafexpeditionen des Heeres in die Flucht schlugen, daß sie den Streitkräften des Landes monatelang Widerstand leisteten. Die Verschwörung war eine Notwendigkeit. Deshalb wurde sie erfunden und geglaubt.«
    »Sie sollten die Chroniken meines Stellvertreters im Jornal de Notícias lesen«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Der, den Epaminondas Gonçalves hingeschickt hat, als er glaubte, ich sei tot. Ein guter Mann. Anständig, ohne Phantasie, ohne Leidenschaften, ohne Überzeugungen. Der ideale Mann, um eine unvoreingenommene, sachliche Darstellung der Vorgänge zu liefern.«
    »Auf beiden Seiten wurde gestorben und getötet«, murmelte der Baron und sah ihn mitleidig an. »Sind Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit in einem Krieg möglich?«
    »In seiner ersten Chronik entdecken die Offiziere der Kolonne von General Oscar auf den Höhen von Canudos vier blonde, gutgekleidete Beobachter unter den Jagunços«, sagte langsam der Journalist. »In der zweiten findet die Kolonne von General Savaget zwischen toten Jagunços ein Individuum, weißhäutig, blond, mit Offizierskoppel und handgehäkelter Mütze. Niemand kann seine Uniform identifizieren, da eine solche Uniform von keiner Militäreinheit des Landes je getragen wurde.«
    »Sicher ein Offizier Ihrer Allergnädigsten Majestät, der englischen Königin«, lächelte der Baron.
    »Und in der dritten kommt aus der Tasche eines gefangengenommenen Jagunços ein Brief zum Vorschein, ohne Unterschrift, aber in untrüglich aristokratischer Handschrift«, fuhr der Journalist, ihn überhörend, fort, »an den Ratgeber gerichtet, um ihm auseinanderzusetzen, warum es unerläßlich sei, eine konservative, monarchistische, gottesfürchtige Regierung einzusetzen. Und alles deute darauf hin, daß Sie, Baron, der Verfasser dieses Briefes seien.«
    »Waren Sie wirklich so naiv zu glauben, was in den Zeitungen geschrieben wird, sei wahr?« fragte ihn der Baron. »Sie als Journalist?«
    »Und dann ist da die Chronik über die Lichtzeichen«, fuhr der kurzsichtige Journalist fort, ohne zu antworten. »Mit ihnen konnten sich die Jagunços nachts über große Entfernungen verständigen. Die geheimnisvollen Lichter gingen aus und an und übermittelten derart subtil verschlüsselte Botschaften, daß die Techniker des Heeres nicht imstande waren, sie zu decodieren.«
    Ja, kein Zweifel, trotz seinen Bohème-Allüren, dem Opium unddem Äther und den Candomblés war dieser Mensch naiv, ein

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