Der Krieg am Ende der Welt
sich draußen zu übergeben. Sogar das Gesicht seiner Konkubine sah er noch. War es nicht dieses Mädchen gewesen, das sie die Regenmacherin nannten, weil sie unterirdische Wasserstellen erraten konnte? Also war auch der liederliche Pfarrer ein Ratgeberist geworden?
»Ja, ein Ratgeberist und in gewisser Hinsicht ein Held.« Der Journalist ließ einen dieser Lacher los, die sich anhörten, als prasselten Steine durch seine Kehle, und wie gewöhnlich endete dieses Lachen auch jetzt in einem Niesen.
»Er war ein sündiger Pfarrer, aber nicht dumm«, erinnerte sich der Baron. »Wenn er nüchtern war, konnte man mit ihm reden. Ein aufgeweckter Mann, sogar belesen. Ich kann nicht glauben, daß er wie die Analphabeten im Sertão dem Zauber eines Scharlatans verfallen ist.«
»Bildung, Intelligenz, Bücher haben mit der Geschichte des Ratgebers nichts zu tun«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Aber das ist das wenigste. Das erstaunliche ist, daß Pater Joaquim ein Jagunço wurde. Das heißt, daß der Ratgeber ihn, der ein Feigling war, tapfer gemacht hat.« Er blinzelte hastig. »Das ist die schwierigste, wunderbarste Bekehrung, die es gibt. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Ich weiß, was Angst ist. Und der kleine Pfarrer hatte genügend Einbildungskraft, um panische Angst fühlen und sich entsetzen zu können. Und dennoch ...«
Seine Stimme wurde hohl, substanzlos, und sein Gesicht verzog sich zur Grimasse. Was hatte er plötzlich? Der Baron bemerkte, daß sein Gast um Gelassenheit rang und etwas zu überwinden suchte, das ihn zurückhielt.
»Und dennoch?« half er ihm auf die Sprünge.
»Und dennoch zog er monatelang, vielleicht jahrelang durch die Dörfer, die Fazendas, die Minen und kaufte Pulver, Dynamit, Lunten. Er heckte Lügen aus, um diese Käufe zu rechtfertigen, die später so großes Aufsehen erregten. Und als dann immer mehr Soldaten in den Sertão kamen, riskierte er Kopf und Kragen: wissen Sie, wie? Indem er in dem Koffer für die Kultgegenstände, zwischen dem Tabernakel, dem Hostienkelch, dem Kruzifix, dem Meßgewand, dem Chorrock, ganze Pulverfässer versteckt hat. Unter der Nase der Polizei und des Heeres hat er das durchgeschmuggelt. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, wenn einer feig ist, wenn einer zittert und kalten Schweiß schwitzt? Können Sie sich vorstellen, welche Überzeugung einer dazu braucht?«
»Der Katechismus ist voll von solchen Geschichten, mein Lieber«, murmelte der Baron. »Alle diese von Pfeilen durchbohrten, von Löwen gefressenen, ans Kreuz geschlagenen Leute, die ... Aber es stimmt, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, daß Pater Joaquim das für den Ratgeber getan hat.«
»Eine tiefe Überzeugung«, wiederholte der kurzsichtige Journalist. »Eine totale innere Sicherheit, einen Glauben, den Sie sicher nie gehabt haben. So wenig wie ich ...«
Wieder wackelte er mit dem Kopf wie eine unruhige Henne, dann hievte er sich mit seinen langen, knochigen Armen auf den Ledersessel. Ein paar Minuten spielte er nachdenklich mit seinen Händen, dann fuhr er fort:
»Die Kirche hat den Ratgeber formell als Häretiker, als abergläubischen, die Gewissen verwirrenden Agitator verurteilt. Der Erzbischof von Bahia hat den Gemeindepfarrern verboten, ihn auf der Kanzel predigen zu lassen. Ein Pfarrer muß schon einen unerschütterlichen Glauben haben, um seiner eigenen Kirche, seinem eigenen Erzbischof den Gehorsam zu verweigern und Gefahr zu laufen, daß er selbst verurteilt wird, weil er den Ratgeber unterstützt hat.«
»Was beunruhigt Sie so?« sagte der Baron. »Der Gedanke, der Ratgeber könnte tatsächlich ein neuer Christus gewesen sein, der ein zweites Mal die Menschen erlöst?«
Er sagte es, ohne zu überlegen, und fühlte sich unbehaglich, sobald er es gesagt hatte. Doch weder er noch der kurzsichtige Journalist lächelten. Er sah ihn den Kopf schütteln, was seine Antwort sein konnte, aber auch eine Art und Weise, eine Fliege zu verscheuchen.
»Auch daran habe ich gedacht«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Ob er Gott ist, ob er von Gott geschickt ist, ob Gott existiert ... Ich weiß es nicht. Jedenfalls sind diesmal keine Jünger zurückgeblieben, die den Mythos ausbreiten und denHeiden die frohe Botschaft bringen könnten. Nur einer ist übriggeblieben, soviel ich weiß; und das dürfte kaum ausreichen ...«
Wieder lachte er auf, und der Niesanfall beschäftigte ihn eine ganze Weile. Als er fertig war, hatte er eine rote Nase und gerötete
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