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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Augen.
    »Aber mehr als an die mögliche Göttlichkeit habe ich über diese solidarische, brüderliche Gesinnung nachgedacht, über das unzerreißbare Band, das er zwischen den Leuten geknüpft hat«, sagte der kurzsichtige Journalist einigermaßen pathetisch. »Erstaunlich, ergreifend. Nach dem 18. Juli waren nur noch die Straßen nach Chorrochó und Riacho Seco offen. Was wäre logisch gewesen? Daß die Leute versucht hätten fortzugehen, zu flüchten, ehe auch diese Straßen gesperrt würden, nicht wahr? Das Gegenteil war der Fall. Die Leute versuchten, nach Canudos hineinzukommen, immer noch kamen sie verzweifelt, eilig von allen Seiten an, um sich in die Mausefalle, in diese Hölle zu begeben, ehe die Soldaten den Kreis schlossen. Sie sehen: in Canudos war nichts normal.«
    »Sie haben von Pfarrern in der Mehrzahl gesprochen«, unterbrach ihn der Baron. Das Thema Solidarität und kollektive Opferbereitschaft der Jagunços beunruhigte ihn. Mehrmals im Verlauf des Gesprächs war es aufgetaucht, und jedesmal hatte er es beiseite geschoben. So auch jetzt.
    »Die anderen habe ich nicht gekannt«, erwiderte der Journalist, als wäre auch er über den Themawechsel erleichtert. »Aber es gab sie. Pater Joaquim erhielt Informationen und Unterstützung von ihnen. Und vielleicht waren sie auch da, verstreut, untergetaucht in der Masse der Jagunços. Jemand hat mir einmal von einem Pater Martinez erzählt. Wissen Sie, wer? Sie haben sie gekannt, vor vielen, sehr vielen Jahren. Die Kindsmörderin von Salvador? Sagt Ihnen das etwas?«
    »Die Kindsmörderin von Salvador?« sagte der Baron.
    »Ich war im Prozeß, als ich noch in kurzen Hosen ging. Mein Vater war Pflichtverteidiger, Armenanwalt, er hat sie verteidigt. Ich habe sie wiedererkannt, obwohl ich sie zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre lang nicht gesehen habe. Damals haben Sie doch noch Zeitungen gelesen? Der ganze Nordwesten ereiferte sich über den Fall Maria Quadrado, die Kindsmörderin von Salvador. Der Kaiser wandelte die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängnis um. Erinnern Sie sich? Auch sie war in Canudos. Sie sehen, die Geschichte hat kein Ende.«
    »Das weiß ich längst«, sagte der Baron. »Alle, die mit der Justiz, mit ihrem Gewissen, mit Gott nicht im reinen waren, haben in Canudos Gnade und Unterschlupf gefunden. Das ist natürlich.«
    »Daß sie dorthin geflüchtet sind, ja, aber nicht, daß sie andere Menschen geworden sind.« Als wüßte er nicht, was er mit seinem Körper anfangen sollte, rutschte der Journalist wieder auf den Boden und zog die langen Beine an. »Sie war die Heilige, die Mutter der Menschen, die Oberin der frommen Frauen, die über den Ratgeber wachten. Ihr wurden Wunder zugeschrieben und es hieß, sie sei mit ihm durch die ganze Welt gepilgert.«
    Allmählich fügte sich die Geschichte im Gedächtnis des Barons wieder zusammen. Ein berühmter Fall, Anlaß zu unzähligem Gerede. Sie war Dienstmädchen bei einem Notar und hatte ihr neugeborenes Kind mit einem Wollknäuel, das sie ihm in den Mund preßte, erstickt, denn es weinte viel und sie hatte Angst, seinetwegen die Stelle zu verlieren. Mehrere Tage lag der kleine Leichnam unter ihrem Bett, bis er so stank, daß die Hausherrin ihn entdeckte. Das Mädchen gestand sofort alles. Auch während der Gerichtsverhandlung war sie fügsam und beantwortete bereitwillig und aufrichtig alle Fragen. Der Baron entsann sich der Polemik, die sich zwischen den Verfechtern der These von der »katatonischen Unverantwortlichkeit« und anderen, die dem Mädchen »perverse Instinkte« zuschrieben, um die Persönlichkeit der Kindsmörderin entspann. War sie aus dem Gefängnis geflohen? Der Journalist wechselte einmal mehr das Thema.
    »Vor dem 18. Juli war vieles furchtbar gewesen, aber erst an diesem Tag habe ich das Grauen berührt, gerochen, geschluckt, bis ich es in den Därmen fühlte.« Der Baron sah, daß sich der Kurzsichtige auf den Bauch schlug. »An diesem Tag bin ich ihr begegnet, ich habe mit ihr gesprochen und erfahren, daß sie die Kindsmörderin war, von der ich als Kind so oft geträumt hatte. Sie hat mir geholfen, denn ich war allein zurückgeblieben.«
    »Am 18. Juli war ich in London«, sagte der Baron. »Ich weißüber die Einzelheiten dieses Krieges nicht Bescheid. Was ist an diesem Tag geschehen?«
    »Morgen greifen sie an«, keuchte João Grande, der in höchster Eile angerannt kam. Und dabei fiel ihm etwas Wichtiges ein: »Gelobt sei der gute Jesus.«
    Seit einem Monat standen

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