Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
verstehen, er spricht zur Erde. »Hast du Wasser?« fragt er ihn. Schmerz durchzuckt den Sergeanten wie ein feuriger Stich ins Hirn. Er schließt die Augen und versucht die Panik unter Kontrolle zu bekommen. Hat ihn eine Kugel erwischt? Wo? Mit einer neuen, gewaltigen Anstrengung sieht er an sich hinunter. Aus seinem Bauch steht eine lange Wurzel. Er braucht eine Weile, bis er begreift, daß die krumme Lanze nicht nur ihn durchbohrt, sondern auch im Boden steckt. Ich bin aufgespießt, ich bin festgenagelt, denkt er. Er denkt: Ich werde eine Medaille bekommen. Warum kann er die Hände, die Füße nicht bewegen? Wie haben sie ihn so aufspießen können, ohne daß er es gesehen oder gespürt hat? Hat er viel Blut verloren? Er will seinen Bauch nicht noch einmal ansehen. Er spricht den kleinen Soldaten an: »Hilf mir, hilf mir«, bittet er und fühlt, daß sich sein Schädel spaltet. »Zieh mir das heraus, mach mich los. Wir müssen die Schlucht hoch, hilf mir.«
    Plötzlich kommt es ihm dumm vor, die Schlucht hochzuwollen, wenn er nicht einmal einen Finger krümmen kann.
    »Den ganzen Troß haben sie mitgenommen, alle Munition«, wimmert der kleine Soldat. »Ich bin nicht schuld, Exzellenz. Oberst Campelo ist schuld daran.«Er hört ihn wie ein Kind schluchzen und hat den Eindruck, daß er betrunken ist. Er fühlt Haß und Wut auf diesen Hurensohn, der bloß wimmert, statt zu reagieren und um Hilfe zu rufen. Der kleine Soldat hebt den Kopf und sieht ihn an.
    »Bist du vom Zweiten Infanteriebataillon«, sagt der Sergeant, der spürt, daß seine Zunge hart ist. »Aus der Brigade von Oberst Silva Telles?«
    »Nein, Exzellenz«, zieht der kleine Soldat einen Flunsch. »Ich bin vom Fünften Infanteriebataillon, Dritte Brigade. Der von Oberst Olímpio da Silveira.«
    »Heul nicht, sei nicht blöd, komm her und hilf mir, das Ding aus dem Bauch zu ziehen«, sagt der Sergeant. »Komm her, Hasenfuß.«
    Aber der kleine Soldat legt den Kopf auf die Erde und weint. »Also bist du einer von denen, die wir vor den Engländern retten sollten«, sagt der Sergeant. »Komm jetzt und rette du mich, Dummkopf.«
    »Alles haben sie mitgenommen! Alles gestohlen!« heult der kleine Soldat. »Ich habe es Oberst Campelo gesagt, daß der Troß nicht so weit zurückbleiben darf, daß sie uns von der Kolonne abschneiden können. Ich habe es ihm gesagt! Ich habe es ihm gesagt. Und genau das ist passiert, Exzellenz! Sogar mein Pferd haben sie gestohlen.«
    »Vergiß jetzt den Troß, den sie geklaut haben, zieh mir das da heraus«, schreit Frutuoso. »Willst du, daß wir wie Hunde verrecken? Sei nicht blöd. Reiß dich zusammen!«
    »Die Lastträger haben uns verraten! Die Spurensucher haben uns verraten«, wimmert der kleine Soldat. »Alle waren Spione, Exzellenz! Auch sie haben auf uns angelegt. Rechnen Sie aus! Zwanzig Wagen Munition, sieben Wagen Salz, Mehl, Zucker, Schnaps, Alfalfa, vierzig Sack Mais! Über hundert Stück Vieh haben sie mitgenommen, Exzellenz! Verstehen Sie den Wahnsinn von Oberst Campelo? Ich habe ihn gewarnt. Ich bin Hauptmann Manuel Porto und lüge nie, Exzellenz. Es war seine Schuld.«
    »Sie sind Hauptmann?« stammelt Frutuoso Medrado. »Verzeihung, Exzellenz. Ich habe Ihre Abzeichen nicht gesehen.« Die Antwort ist ein Röcheln. Sein Nachbar liegt stumm und rührt sich nicht. Er ist tot, denkt Frutuoso Medrado. Er denkt: EinHauptmann! Man hätte meinen können, ein frisch eingezogener Rekrut. Über kurz oder lang wird auch er sterben. Die Engländer haben dich drangekriegt, Frutuoso. Diese ausländischen Hurensöhne haben dich umgebracht. Und dabei sieht er am Rand der Schlucht zwei Gestalten. Vor Schweiß kann er nicht erkennen, ob sie Uniformen tragen, aber er ruft: »Hilfe! Hilfe!« Er versucht sich zu bewegen, sich zu winden; sie sollen sehen, daß er lebt, und näherkommen. Sein großer Schädel ist eine Glutpfanne. Die Gestalten springen die Böschung herunter, und dem Sergeanten kommen die Tränen, als er feststellt, daß sie Hellblau und Schnürstiefel tragen. Er versucht zu rufen: »Zieht mir diesen Stecken aus dem Bauch, Jungens.«
    »Erkennen Sie mich, Sergeant? Wissen Sie, wer ich bin?« sagt der Soldat, der ihm nun, blödsinnigerweise, statt sich hinzuhocken und ihn loszumachen, die Spitze des Bajonetts an den Hals setzt.
    »Klar, kenn ich dich, Corintio«, brüllt er. »Worauf wartest du, Idiot? Zieh mir das aus dem Bauch! Was tust du, Corintio, Corintio!«
    Da stößt ihm Florisas Mann vor dem angeekelten

Weitere Kostenlose Bücher