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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Soldaten auf der Favela, der Krieg zog sich endlos in die Länge: Gewehrfeuer ab und zu, Kanonaden, gewöhnlich zur Stunde des Glockenläutens. Am frühen Morgen, mittags und abends gingen die Leute nur durch bestimmte Gassen. Der Mensch gewöhnt sich, aus allem macht er Routine, ist es nicht so? Menschen starben, jede Nacht gab es Beerdigungen. Die Bombardierungen ohne festes Ziel zerstörten ganze Häuserblöcke, zerfetzten alte Leute und Kinder, diejenigen, die nicht in die Schützengräben gingen. Es schien, als würde alles endlos so weitergehen. Aber nein, es sollte noch schlimmer kommen, eben hatte der Straßenkommandant es gesagt. Der kurzsichtige Journalist war allein, da Jurema und der Zwerg gegangen waren, Pajeú das Essen zu bringen. Da versammelten sich die Männer, die den Krieg leiteten, im Laden: Honório Vilanova, João Grande, Pedrão, auch Pajeú. Sie waren unruhig, ihr Geruch sagte es, die Atmosphäre im Laden war gespannt. Und doch war niemand überrascht, als João Abade ankündigte, am Morgen würde der Hund angreifen. Er wußte alles. Die Nacht über würden sie Canudos bombardieren, um die Widerstandskraft zu schwächen, und um fünf Uhr früh würden die Truppen zum Sturm antreten. Er wußte, an welchen Stellen. Sie sprachen ruhig, sie teilten die Gebiete unter sich auf, du erwartest sie hier, die Straße dort muß gesperrt werden, da werden wir Barrikaden errichten, besser, ich rühre mich nicht von der Stelle, für den Fall, daß auch von dieser Seite Hunde kommen. Konnte sich der Baron vorstellen, was er empfand, als er das hörte? Dann kam die Sache mit dem Papier. Was für ein Papier? Einer von Pajeús »Kleinen« kam angerannt und übergab es ihnen. Sie besprachen sich, sie fragten den Journalisten, ob er es lesen könne, und er versuchte angestrengt, mit seiner zersplitterten Brille an einer Kerze den Inhalt zu entziffern. Es gelang ihm nicht. Da befahl João Abade dem »Kleinen«, den Löwen von Natuba zu holen.»Keiner von den Stellvertretern des Ratgebers konnte lesen?« fragte der Baron.
    »Antônio Vilanova konnte es, aber er war nicht in Canudos«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Und der, den sie holen gingen, konnte es: der Löwe von Natuba. Auch ein Intimus, ein Apostel des Ratgebers. Er konnte lesen und schreiben, er war der Gelehrte von Canudos.«
    Er schwieg, unterbrochen von einer Niessalve, die ihn krümmte, und hielt sich den Magen.
    »Ich konnte die Einzelheiten nicht erkennen«, flüsterte er, um Atem ringend. »Nur den Umriß, die Form, oder besser gesagt, das Fehlen von Formen. Doch es genügte, um alles übrige zu ahnen. Er lief auf allen vieren, er hatte einen riesigen Kopf und einen großen Höcker. Sie schickten nach ihm, und er kam mit Maria Quadrado. Er las ihnen das Papier vor. Es waren die Instruktionen des Oberkommandos für den Sturmangriff am nächsten Morgen.«
    Die tiefe, melodische, normale Stimme zählte auf: Schlachtaufstellung, Standorte der Regimenter, Abstände zwischen den Kompanien, zwischen Soldat und Soldat, Zeichen und Trompetensignale, und unterdessen stieg in ihm, dem Journalisten, die Angst hoch und ein grenzenloses Verlangen, Jurema und der Zwerg möchten zurückkommen. Noch ehe der Löwe von Natuba zu Ende gelesen hatte, begann die Ausführung des ersten Teils des Schlachtplans: das Bombardement, das sie weichklopfen sollte.
    »Heute weiß ich, daß damals nur neun Kanonen auf Canudos schossen und daß auch später nie mehr als sechzehn zur gleichen Zeit feuerten«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Aber in dieser Nacht war es, als wären es tausend, als hätten alle Sterne am Himmel uns zu bombardieren begonnen.« Die Zinkdächer vibrierten von dem Getöse, die Tragsteine und der Ladentisch bebten, man hörte das Bersten und Einstürzen von Häusern, Aufschreie, Rennen und in den Pausen das unvermeidliche Kreischen der Kinder. »Es geht los«, sagte einer der Jagunços. Sie gingen hinaus, um nachzusehen, kamen wieder, sagten zu Maria Quadrado und dem Löwen von Natuba, sie könnten nicht zurück ins Sanktuarium, der Weg liege unter Beschuß, und der Journalist hörte, wie die Fraudennoch darauf bestand. João Grande überredete sie, indem er ihr schwor, er selbst käme, sobald die Kanonade nachließe, und bringe sie ins Sanktuarium. Die Jagunços gingen, und der Journalist begriff, daß auch Jurema und der Zwerg – wenn sie noch am Leben waren – nicht aus Rancho do Vigário zu ihm zurückkehren konnten. Zu seinem

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