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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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unbändige Energie. Er hatte in dem Landstrich zwischen Cocorobó und Trabubú, der zu Recht Macambira – Dornenland – heißt, große Maniok- und Maisfelder besessen. Mit seinen Söhnen hatte er das Land bearbeitet und wegen Grenzfragen mit seinen Nachbarn in Streit gelegen. Eines Tages verließ er alles und zog mit seiner riesigen Familie nach Canudos, wo sie ein halbes Dutzend Häuser gegenüber dem Friedhof bewohnen. Alle in Belo Monte begegnen dem Alten ein wenig furchtsam, da er in dem Ruf steht, hochfahrend zu sein.
    Joaquim Macambira hat Boten ausgeschickt, um João Abade zu fragen, ob er angesichts der Lage die Schlucht von Umburanas weiter überwachen oder ob er sich nach Canudos zurückziehen soll. Die Antwort steht noch aus. Was meint João Grande? Der schüttelt bedrückt den Kopf: er weiß nicht, was er tun soll. Einerseits ist das Dringlichste, nach Belo Monte zu eilen, um den Ratgeber zu schützen, falls es zu einem Angriff von Norden kommt. Aber andererseits: hat João Abade nicht gesagt, sie sollten ihm unter allen Umständen den Rücken decken?
    »Womit denn?« brüllt Macambira. »Mit den Händen?«
    »Ja«, antwortet João Grande ergeben. »Wenn sonst nichts da ist.«
    Sie vereinbaren, in Umburanas zu bleiben, bis Nachrichten vom Straßenkommandanten eintreffen. Mit einem gleichzeitigen »Gelobt sei der gute Jesus Ratgeber« verabschieden sie sich. Als João Grande, diesmal allein, den Morast betritt, hört er die an Papageien erinnernden Pfeiftöne: sie bedeuten den Jagunços, ihn passieren zu lassen. Während er durch den Schlamm watet, versucht er sich die Metzlerin vorzustellen, die den alten Macambira so sehr beunruhigt. Um einen tapferen Mann wie ihn zu erschrecken, muß sie riesig sein, todbringend und donnernd, ein stählerner, feuerspeiender Drache. Der Böse, der Drache, der Hund ist wirklich über die Maßen mächtig, vonMal zu Mal kann er zahlreichere und besser bewaffnete Feinde gegen Canudos ausschicken. Wie lange noch will der Vater den Glauben der Katholiken auf die Probe stellen? Haben sie nicht genug gelitten? Haben sie noch nicht genug Hunger und Tod und Leiden ertragen? Nein, noch nicht. Der Ratgeber hat gesagt: »Die Buße wird so groß sein wie unsere Schuld.« Da seine Schuld größer war als die der anderen, wird er, João Grande, auch mehr bezahlen müssen als sie. Aber es ist ein großer Trost, auf der Seite der guten Sache zu stehen und zu wissen, daß er neben dem heiligen Georg kämpft und nicht neben dem Drachen.
    Als er am Schützengraben ankommt, tagt es; außer den Wachtposten, die auf den Felsen stehen, schlafen seine Männer, über den Abhang verstreut. João Grande kauert sich hin und fühlt sich schlaff werden vor Müdigkeit, als ein Galopp ihn jäh hochfahren läßt. In einer Staubwolke kommen ihm acht oder zehn Reiter entgegen. Sind es Kundschafter? Ist es die Vorhut einer Truppe, die den Troß schützen soll? Im schwachen Licht der Frühe bricht von den Hängen her ein Regen von Pfeilen, Dolchen, Steinen, Speeren über die Reiter herein, und vom Morast her, wo der alte Macambira steht, sind Schüsse zu hören. Jetzt ist sich João Grande sicher, daß die den Troß begleitende Truppe jeden Augenblick auftauchen wird, zahlreich, nicht aufzuhalten von Männern, die nur noch Armbrüste, Jagdmesser und Bajonette haben, und er betet zum Vater, João Abade möge Zeit haben, seinen Plan auszuführen.
    Eine Stunde später erscheinen sie. Inzwischen hat die Katholische Wachmannschaft die Schlucht mit Pferde- und Eselskadavern, mit Leichen von Soldaten, mit Steinbrocken, Dorngestrüpp und Kakteen, die sie über die Abhänge rollen, derart versperrt, daß zwei Kompanien Schanzarbeiter kommen müssen, um den Weg wieder befahrbar zu machen. Leicht haben sie es nicht, denn nach dem Gewehrfeuer, das Joaquim Macambira mit der letzten Munition auf sie eröffnet und das sie mehrmals zurückweichen läßt, kommen João Grande und hundert seiner Männer angekrochen, als sie die Hindernisse zu sprengen versuchen, und verwickeln sie in einen Kampf Mann gegen Mann. Bevor weitere Soldaten auftauchen, verletzen und töten sie mehrere und ergattern auch ein paar Flinten und diesekostbaren Taschen voll Patronen. Als João Grande pfeift und dann laut rufend den Rückzug befiehlt, liegen mehrere Jaguncos tot oder sterbend in der Schlucht. Wieder oben, von Felsen gegen den Kugelhagel geschützt, hat der ehemalige Sklave Zeit festzustellen, daß er unversehrt ist. Ist es göttliche

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