Der Krieg am Ende der Welt
Männer, Frauen und Kinder stehen Schlange in Erwartung ihrer Rationen. Die Campo Grande hingegen sieht wie ein Truppenlager aus durch die vielen Kisten, Kanister und Pulverfässer, zwischen denen haufenweise Jagunços herumlaufen. Die Maultiere, die die Lasten befördert haben, tragen deutlich sichtbar die Brandmarken des Regiments; einige sind durch Peitschenhiebe blutig geschlagen und wiehern verschreckt im Getöse. João Grande sieht einen toten Esel, an dem, unter Fliegenschwärmen, abgemagerte Hunde fressen. Dann entdeckt er Antônio und Honório Vilanova. Sie stehen auf einem Mauervorsprung und verteilen schreiend und gestikulierend die Munitionskisten, die von je zwei Mann im Laufschritt fortgetragen werden, jungen Jagunços, manche kaum größer als der »Kleine«, der ihn nicht zu den Vilanova gehen läßt, sondern ihn auffordert, das ehemalige Verwaltungsgebäude zu betreten, denn da, sagt er, erwartet ihn der Straßenkommandant.
Die kleinen Jungen von Canudos zu Boten zu machen – sie nennen sie die »Kleinen« – war ein Gedanke Pajeús gewesen. Als er es vorschlug, in eben diesem Laden, meinte João Abade, das sei gefährlich, sie könnten keine Verantwortung tragen und sich nichts merken, aber Pajeú hatte insistiert und ihm widersprochen: nach seiner Erfahrung seien Kinder schnell und tüchtig, auch selbstlos. Pajeú hat recht gehabt, denkt der ehemalige Sklave, als er sieht, daß das Kerlchen seine Hand nicht eher losläßt, als bis er vor João Abade steht, der an den Ladentisch gelehnt in aller Ruhe trinkt und kaut und Pedrão zuhört, um den ein Dutzend Jagunços stehen. Als er ihn sieht, winkt er ihn heran und drückt ihm fest die Hand. João Grande möchte ihm sagen, was er fühlt, ihm danken, ihm gratulieren, daß er Waffen, Munition, Nahrung nach Canudos gebracht hat, aber etwas hält ihn zurück, wie immer: er fühlt sich eingeschüchtert, er schämt sich. Nur der Ratgeber ist fähig, diese Barriere zu durchbrechen, die ihn, solange er denken kann, hindert, den Leuten zu sagen, was er in seinem Herzen fühlt. Mit Nicken und Schulterklopfen begrüßt er die anderen, dann überkommt ihn plötzlich eine ungeheure Müdigkeit: er hockt sich auf den Boden. Assunção Sardelinha drückt ihmeinen gehäuften Teller Fleisch und Maisbrei und einen Krug Wasser in die Hand. Für eine Weile vergißt João Grande den Krieg und sich selbst. Voll Glück ißt und trinkt er. Als er fertig ist und bemerkt, daß João Abade, Pedrão und die anderen schweigend auf ihn warten, verwirrt ihn das. Er stottert Entschuldigungen.
Eben erklärt er, was in der Schlucht von Umburanas geschehen ist, als ein unbeschreibliches Donnergetöse ihn hochschleudert und durchschüttelt. Sekundenlang verharren alle wie erstarrt, geduckt, die Hände über den Köpfen. Sie spüren die Steine, das Dach, die Gegenstände im Laden vibrieren, als würde durch das endlose Beben alles in tausend Stücke zerspringen.
»Seht ihr, merkt ihr es?« kommt brüllend, unkenntlich vor Schmutz und Pulverdampf, der alte Macambira herein. »Merkst du jetzt, was die Metzlerin ist, João Abade?«
Statt ihm zu antworten, befiehlt João Abade dem »Kleinen«, der João Grande hergeführt hat und der eben mit angstverzerrtem Gesicht aus Pedrãos Armen hervorkommt, in die ihn die Explosion geschleudert hat, nachzusehen, ob der Schuß den Tempel des guten Jesus oder das Sanktuarium beschädigt hat. Dann bedeutet er dem alten Macambira, sich hinzusetzen und etwas zu essen. Aber der Alte ist so wütend, daß er seine haßerfüllten Tiraden über die Metzlerin fortsetzt, während er in das Fleisch beißt, das ihm Antônio Sardelinha gereicht hat. »Wenn wir nichts unternehmen, wird sie uns begraben«, hört ihn João Grande knurren.
Und mit einem Mal sieht João Grande in einem friedvollen Traum einen Trupp feuriger Pferde über sandigen Strand galoppieren, dem Meer entgegen, das weiß von Schaum ist. Ein Duft von Zuckerrohr, von frisch geschleudertem Honig, von ausgepreßtem Trester liegt in der Luft. Doch das Glück, diese glänzenden, vor Freude wiehernden Tiere in den frischen Wellen zu sehen, dauert nicht lange. Plötzlich schießt aus dem Grund des Meeres die Zaubermaschine hervor, lang und todbringend, und speit Feuer wie der Drache, den beim Candomblé in Mocambo Oxossi mit dem glänzenden Schwert tötet. »Der Teufel gewinnt«, schreit jemand auf. Der Schreck weckt ihn. Durch einen Schleier von Schläfrigkeit sieht er im schwankenden Licht einer
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