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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Vorsehung, daß er in drei Tagen Krieg nicht einmal eine Schramme abbekommen hat? Bäuchlings auf den Boden gestreckt, um Atem ringend, sieht er die Soldaten in Viererreihen durch die endlich offene Schlucht ziehen, dahin, wo João Abade sie erwartet. Dutzende, Hunderte. Sie werden den Troß verteidigen, bestimmt, denn trotz aller Herausforderungen durch die Katholische Wachmannschaft und den alten Macambira machen sie sich nicht die Mühe, die Hänge hochzuklettern oder in den Morast auszuschwärmen. Sie begnügen sich, beide Flanken von ein paar Gruppen Schützen, die beim Schießen das Knie auf den Boden setzen, mit Gewehrfeuer bestreichen zu lassen. João Grande zweifelt nicht länger. Hier kann er für den Straßenkommandanten nichts mehr ausrichten. Von Fels zu Fels, von Schützengraben zu Schützengraben springend, vergewissert er sich, daß der Befehl zum Rückzug alle erreicht hat, sieht auch hinter dem Berg nach, ob die Frauen abgezogen sind, die gekocht haben. Dann kehrt auch er nach Belo Monte zurück.
    Er folgt einem gewundenen Nebenfluß des Vaza Barris, der nur zur Regenzeit Wasser führt. In dem schmutzigen, mit Kieseln gepflasterten Bett fühlt er die gegen Mittag zunehmende Hitze. Als Nachzügler geht er hinter seinen Männern her. Er denkt an die Gefallenen, er ahnt die Traurigkeit des Ratgebers, des Beatinho, der Mutter der Menschen, wenn sie erfahren, daß diese Brüder unter freiem Himmel verwesen werden. Voll Mitleid gedenkt er der Gefährten – viele von ihnen hat er selbst schießen gelehrt –, die nun ohne Bestattung und ohne Gebete ein Fraß der Aasgeier werden. Wie hätte er ihre Überreste retten sollen?
    Den ganzen Weg über hören sie von der Favela her Schüsse. Ist es nicht seltsam, sagt ein Jagunço, daß Pajeú, Manuel Quadrado und Taramela, die an dieser Front den Hund beschießen, so viele Schüsse abgeben können? João Grande erinnert ihn, daß die Männer in den Schützengräben zwischen Belo Monte und der Favela die meiste Munition erhalten haben. Daß dahinsogar die Schmiede mit Amboß und Esse gezogen sind, um an der Seite der Kämpfenden Blei schmelzen und Kugeln gießen zu können. Doch kaum erkennen sie unter Rauchwolken, die von Granateinschlägen herrühren müssen, Canudos – die Sonne steht hoch, und die Türme des Tempels und die gekalkten Hauswände strahlen das Licht zurück –, ahnt João Grande die frohe Botschaft. Er blinzelt, schaut, berechnet, vergleicht. Ja, sie feuern, Salve um Salve, vom Tempel des guten Jesus, von der Kirche Santo Antônio, von den Schanzen am Friedhof und aus den Schluchten des Vaza Barris und bei Fazenda Velha! Woher kommt die viele Munition? Minuten später bringt ein »Kleiner« Botschaft von João Abade. »Also ist er wieder in Canudos?« ruft der ehemalige Sklave aus.
    »Mit über hundert Kühen und vielen Gewehren«, berichtet der Junge begeistert. »Und Kisten voll Kugeln und Granaten und Kanistern voll Pulver. Das alles hat er den Hunden abgenommen, und jetzt hat ganz Belo Monte Fleisch zu essen.« João Grande legt eine seiner Riesenhände dem Kleinen auf den Kopf und zügelt seine Freude. João Abade will, daß die Katholische Wachmannschaft als Verstärkung für Pajeú nach Fazenda Velha geht und daß der ehemalige Sklave sich mit ihm im Laden der Vilanova trifft. João Grande erklärt seinen Männern den Weg durch die Schluchten des Vaza Barris, ein toter Winkel, der sie gegen Schüsse von der Favela schützen wird, und nach Fazenda Velha: ein Kilometer Schleichwege und Schlupflöcher, dem unebenen und unübersichtlichen Gelände abgewonnen, der die vorderste Verteidigungslinie von Belo Monte ist, kaum fünfzig Meter von den Soldaten entfernt. Seitdem Pajeú zurückgekehrt ist, hält er diese Front.
    Als João Grande in Belo Monte anlangt, kann er durch den dichten, konturenverzerrenden Staub fast nichts sehen. Die Schießerei ist heftig, und ins Krachen der Schüsse mischt sich das Prasseln zerberstender Ziegel und einstürzender Mauern, das Scheppern von Blechbüchsen. Der Kleine greift nach seiner Hand: João Grande weiß, wo keine Kugeln fallen. In diesen zwei Tagen des Bombardements und der Schießereien haben die Leute eine Sicherheitsgeographie entworfen: sie benützen nur bestimmte Gassen, und jede Gasse nur in einem bestimmten Winkel, in dem sie vor Schüssen sicher sind. Die Espirito Santo-Gasse ist zum Pferch und Schlachthof geworden: hier werden die Rinder geschlachtet, die João Abade gebracht hat, und alte

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