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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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noch ehe die Verstärkung käme.
    Doch am folgenden Tag erleidet die Truppe einen herben Rückschlag. Hundertfünfzig Rinder, die von Monte Santo kamen, fielen den Jagunços in die Hände, noch dazu auf die dümmste Art. Aus übertriebener Vorsicht, um nicht wieder Opfer der im Sertão angeheuerten Spurensucher zu werden, die fast immer Komplizen der im Hinterhalt lauernden Feinde sind, hat sich die begleitende Truppe, eine Kompanie Lanzenreiter, ihren Weg nach den von Pionieren gezeichneten Landkarten gesucht. Sie hatten kein Glück. Statt über Rosario und die Schlucht von Umburanas zu gehen, nahmen sie den Umweg über den Cambaio und den Taboleirinho und standen plötzlich mitten zwischen den Schützenlöchern der Jagunços. Die Lanzenreiter schlugen sich tapfer und kamen mit dem Leben davon, aber sie verloren sämtliche Rinder, die nun von den Fanatikern eilig in die Stadt hineingepeitscht werden. Von der Favela aus beobachtet General Oscar durch den Feldstecher das unerhörte Schauspiel: den Staub und das Brüllen der Herde, die unter dem Glücksgeheul der Schurken nach Canudos rennen. Er, der nicht zu Zornausbrüchen neigt, tadelt in einem Wutanfall öffentlich die Offiziere der Kompanie, die die Rinder verloren hat. Diese Schlappe wird der schwarze Fleck in ihrer Laufbahn sein! Um die Jagunços für das unverhoffte Glück zu bestrafen, das ihnen hundertfünfzig Stück Vieh beschert hat, wird der Beschuß heute verdoppelt.
    Da das Ernährungsproblem kritische Ausmaße annimmt und der Hunger die Truppen bereits physisch und stimmungsmäßigschwächt, schicken General Oscar und sein Generalstab die Lanzenreiter, die ihren Ruf als hervorragende Gauchos nie widerlegt haben, und das Siebenundzwanzigste Infanteriebataillon aus, »wo immer und wie immer« Nahrungsmittel zu beschaffen. Am Abend kehren die Lanzenreiter mit zwanzig Rindern zurück, ohne daß General Oscar fragt, woher sie kommen; sie werden sofort geschlachtet und zwischen der Favela und der »schwarzen Linie« aufgeteilt. Der General und seine Adjutanten treffen Anordnungen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den zwei Lagern und der Front. Sicherheitswege werden angelegt und mit Posten besetzt, die Barrikade wird verstärkt. Mit gewohnter Energie organisiert der General auch den Abtransport der Verwundeten. Tragen und Bahren werden hergestellt, die Ambulanzen repariert, eine Liste der Abzutransportierenden angelegt.
    Diese Nacht schläft der General in seiner Baracke auf der Favela. Am nächsten Morgen, bei Kaffee und Maizenafladen, stellt er fest, daß es regnet. Mit offenem Mund bestaunt er das Wunder. Es ist ein wolkenbruchartiger Regen, begleitet von pfeifendem Wind, der die Güsse trüben Wassers vor sich hertreibt. Als er hinaustritt, um sich voll Entzücken naßregnen zu lassen, sieht er das ganze Lager in einem Zustand inbrünstiger Begeisterung unter dem Regen im Matsch planschen. Es ist der erste Regen seit vielen Monaten, ein wahrer Segen nach so vielen Wochen teuflischer Hitze und Durst. Alle Körper speichern das kostbare Naß in den Gefäßen, über die sie verfügen. Mit dem Feldstecher versucht er auszumachen, was in Canudos geschieht, aber die Stadt liegt in dichtem Dunst, nicht einmal die Türme kann er erkennen. Der Regen dauert nicht lange, schon Minuten später weht wieder der staubführende Wind. Schon oft hat er gedacht, daß ihm, wenn alles vorüber ist, diese ständigen, deprimierenden, auf die Schläfen drückenden Windstöße unauslöschlich im Gedächtnis bleiben werden. Während er die Stiefel auszieht, damit seine Ordonnanz den Matsch abwäscht, vergleicht er die Traurigkeit dieser Landschaft ohne Grün, ohne auch nur einen blühenden Strauch mit der üppigen Vegetation in seinem Piauí.
    »Wer hätte mir gesagt, daß ich meinen Garten vermissen werde«, gesteht er Leutnant Pinto Souza, der den Tagesbefehlvorbereitet. »Nie habe ich die Blumenleidenschaft meiner Frau verstanden. Den ganzen Tag beschneidet und begießt sie ihre Blumen. In meinen Augen war es eine Krankheit, sich derart in einen Garten zu vernarren. Jetzt, angesichts dieser Dürre, verstehe ich sie.«
    Den ganzen Vormittag, während er mit verschiedenen Untergebenen arbeitet, muß er an diesen blendenden, erstickenden Staub denken. Nicht einmal in der Baracke bleibt er von ihm verschont. Wenn nicht Staub mit Braten, ißt man Braten mit Staub. Und immer garniert mit Fliegen, denkt er.
    Am Abend reißt ihn eine Schießerei aus seinen philosophischen

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