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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wollten in diesem Morast. Ein Danaergeschenk! Natürlich hatten die drei Generale recht gehabt! War etwa er, ein Berufssoldat, auf diesen grotesken, absurden Krieg vorbereitet, der sich außerhalb aller Regeln und Konventionen des echten Kriegs abspielte?
    An einem Ende der Mauer wird eine Kuh geschlachtet. General Oscar setzt sich, um in einem Kreis von Offizieren ein Stück gebratenes Fleisch zu essen. Er unterhält sich mit ihnen über die Glocken von Canudos und die Gebete, die eben enden. Die Absonderlichkeit dieses Krieges: diese Gebete, diese Prozessionen, dieses Läuten, diese Kirchen, die die Banditen derart erbittert verteidigen. Wieder beschleicht ihn Unbehagen. Es stört ihn, daß diese niederträchtigen Kannibalen trotz allem Brasilianer, das heißt in einem wesentlichen Bestandteil ihnen gleich sind. Aber am meisten erbittert ihn, den frommen Christen, der sich streng an die Vorschriften der Kirche hält, der unter anderem vermutet, daß er nur deshalb nicht weiter vorangekommen ist, weil er sich beharrlich geweigert hat,Freimaurer zu werden, daß sich diese Banditen als Katholiken aufspielen. Ihre Glaubensäußerungen – diese Rosenkränze und Prozessionen, diese Hochrufe auf den guten Jesus – verwirren und bedrücken ihn, obwohl Pater Lizzardo in allen Feldmessen gegen die Gottlosen wettert und sie beschuldigt, eidbrüchig und häretisch zu sein und den Glauben zu profanieren. Auch das befreit General Oscar nicht von seinem Unbehagen einem Feind gegenüber, der diesen Krieg zu etwas so ganz anderem macht, als was er erwartet hat: zu einem Religionskrieg. Aber daß dieser anormale, unvorhersehbare Feind, der ihn demütigte, weil er nicht beim ersten Angriff zerstob, wie er es für ausgemacht hielt, als er den Auftrag übernahm, daß dieser Feind ihn verwirrt, bedeutet nicht, daß er ihn weniger haßt. Er haßt ihn noch mehr im Verlauf dieser Nacht, als er nach Besichtigung der Barrikaden zum Feldlazarett am Vaza Barris geht. Auf halbem Weg stehen die 7,5-Krupp-Kanonen, die den Sturmangriff unterstützt und unaufhörlich diese Türme bombardiert haben, von denen herunter der Feind der Truppe so großen Schaden zufügt. General Oscar plaudert eine Weile mit den Artilleristen, die trotz der späten Stunde noch eine Palisade errichten, um den Standort zu befestigen.
    Der Besuch im Feldlazarett am Ufer des trockenen Flußbettes erschüttert ihn tief; er muß sich zusammennehmen, damit Ärzte, Krankenpfleger und Sterbende es ihm nicht anmerken, und ist dankbar, daß sich alles im Halbdunkel abspielt, denn Laternen und Fackeln lassen nur einen unbedeutenden Teil dessen sehen, was sich zu seinen Füßen abspielt. Die Verwundeten sind hier noch hilfloser als auf der Favela; auf Lehm und Kieseln liegen sie nebeneinander, wie sie gekommen sind, und die Ärzte erklären, daß zu allem Unglück auch noch ein starker Wind seit dem Abend Wolken rötlichen Staubs in die offenen Wunden weht, die sie mangels Material nicht mehr verbinden, desinfizieren und nähen können. Von allen Seiten hört er Schmerzensschreie, Stöhnen, Weinen, Fieberdelirien. Der Gestank ist fürchterlich, und Hauptmann Coriolano, der ihn begleitet, hat plötzlich Brechreiz. Er hört, wie er in Entschuldigungen zerfließt. Alle paar Schritte bleibt der General stehen, um einem Verwundeten freundlich zuzureden, ihm die Schulter zu klopfen, die Hand zu drücken. Er beglückwünscht sie zuihrem Mut, dankt ihnen im Namen der Republik für die Opfer, die sie gebracht haben. Aber als sie vor den Leichen der Obersten Carlos Telles und Serra Martins haltmachen, die morgen beerdigt werden sollen, bleibt er stumm. Der eine starb gleich zu Beginn des Angriffs, beim Überqueren des Flusses, an einem Schuß in die Brust. Der andere abends, als er an der Spitze seiner Leute Mann gegen Mann die Barrikade der Jagunços angriff. Sie teilen ihm mit, daß sein Körper nicht nur übersät ist von Lanzenstichen und Machetehieben; sie haben ihn auch kastriert, ihm Nase und Ohren abgeschnitten. In Augenblicken wie diesem, wenn er hört, daß ein hervorragender, mutiger Soldat auf diese Weise entehrt worden ist, sagt sich General Oscar, daß die Politik, allen gefangenen Sebastianiten die Kehle durchzuschneiden, richtig ist. Zweierlei rechtfertigt diese Politik vor seinem Gewissen: es handelt sich um Banditen, nicht um Soldaten, die zu verschonen die Ehre gebieten würde; und andererseits läßt ihnen die Lebensmittelknappheit keine andere Wahl, denn noch grausamer

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