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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Seligkeit er es vermied, ihm eine Antwort zu geben. Und er wußte auch, daß dieses Entzücken, diese Seligkeit darauf beruhten, daß er, der Baron, ihren Namen aussprach, daß es ihm gelungen war, ihn für sie zu interessieren, daß es nun der Baron sein würde, der ihn zwingen würde, von ihr zu sprechen. »Die Frau des Spurensuchers Rufino aus Queimadas?«
    Auch diesmal beantwortete der kurzsichtige Journalist die Frage nicht.
    »Im August kam noch dazu der Kriegsminister, Marschall Carlos Machado de Bittencourt, höchstpersönlich aus Rio, um den Feldzug in allen Einzelheiten festzulegen«, fuhr er, die Ungeduld des Barons auskostend, fort. »Wir in Canudos wußten das nicht. Daß sich Marschall Bittencourt in Monte Santo installiert hatte und den Transport, die Verpflegung, die Feldlazarette organisierte. Wir wußten nicht, daß es in Queimadas und Monte Santo freiwillige Soldaten, freiwillige Ärzte, freiwillige Krankenpfleger nur so regnete. Daß der Marschall persönlich die Brigade Girard abkommandiert hatte. Das alles im August. Als hätte der Himmel die Schleusen geöffnet, um eine gewaltige Flut gegen Canudos zu entfesseln.«
    »Und mitten in der Flut waren Sie glücklich«, murmelte der Baron, die Worte wiederholend, die der Kurzsichtige selbst gebraucht hatte. »Ist sie es?«
    »Ja.« Der Baron stellte fest, daß die Seligkeit des Kurzsichtigennicht länger verborgen war, daß sie nun seine Stimme überflutete und mit fortriß. »Es ist nur gerecht, daß Sie sich ihrer erinnern. Sie denkt oft an Sie und Ihre Gattin. Mit Bewunderung, mit Liebe.«
    Also war sie es, das gertenschlanke, braunhäutige Mädchen, das in Calumbí aufgewachsen war, Estela gedient hatte und das sie beide dann mit dem damals ehrlichen und fleißigen Arbeiter Rufino verheiratet hatten. Es wollte ihm nicht in den Kopf. Dieses Feldtierchen, dieses Bauernmädchen, das sich, als es die Gemächer Estelas verließ, nur zum Schlechten verändert haben konnte, war also auch ihm, diesem vor ihm sitzenden Mann, zum Schicksal geworden? Denn wörtlich hatte der Journalist diesen unvorstellbaren Satz gesagt: »Ob Sie es glauben oder nicht, als die Welt aus den Fugen ging, auf dem Höhepunkt des Schreckens, habe ich angefangen, glücklich zu sein.« Wieder überkam den Baron dieses Gefühl von Irrealität, von Traum, von Fiktion, das Canudos auch sonst in ihm auslöste. Diese Zufälle, Koinzidenzen, Querverbindungen regten ihn ungeheuer auf. Wußte der Journalist, daß Galileo Gall Jurema vergewaltigt hatte? Er fragte ihn nicht danach. Verblüfft dachte er an diese sonderbare Geographie des Zufalls, an diese heimliche Ordnung, dieses undurchschaubare Gesetz in der Geschichte der Völker und der Individuen, das die einen wie die anderen sich nahe und wieder auseinander brachte, sie je nach Laune verfeindete und verbündete. Und dieses arme Geschöpf des Sertão, sagte er sich, konnte nicht einmal ahnen, daß es das Werkzeug so vieler Unruhe im Leben so grundverschiedener Menschen wie Rufino und Galileo Gall war und nun also auch dieser Vogelscheuche, die jetzt in Gedanken an sie selig lächelte. Er spürte den Wunsch, Jurema wiederzusehen; vielleicht würde es der Baronin guttun, dieses Mädchen zu sehen, mit dem sie früher so liebevoll umgegangen war. Er erinnerte sich, daß Sebastiana ihr deswegen heimlich gegrollt hatte und wie erleichtert sie gewesen war, als Jurema mit dem Spurensucher nach Queimadas zog.
    »Wirklich, das hätte ich nicht erwartet, in diesem Augenblick von Liebe, von Glück sprechen zu hören«, murmelte er, auf seinem Stuhl rutschend. »Und noch weniger in bezug auf Jurema.«Der Journalist hatte wieder vom Krieg zu sprechen begonnen. »Ist es nicht merkwürdig, daß die Brigade Brigade Girard hieß? Denn soviel ich jetzt weiß, hat General Girard Canudos nie betreten. Eine Merkwürdigkeit mehr in diesem merkwürdigsten aller Kriege. Der August begann mit der Ankunft dieser zwölf frischen Bataillone. Immer noch kamen Leute nach Canudos, in aller Eile, denn sie wußten, daß sich mit dem neuen Heer der Kreis endgültig schließen würde. Und daß man nicht mehr hineinkam!« Der Baron hörte ihn wieder sein absurdes, exotisches, zwanghaftes Lachen lachen; er hörte ihn wiederholen: »Nicht daß man nicht mehr herauskam, verstehen Sie? Daß man nicht mehr hineinkam. Das war das Problem. Daß sie sterben würden, machte ihnen nichts aus, aber sie wollten drinnen sterben.«
    »Und Sie waren glücklich ...«, sagte der Baron.

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