Der Krieg am Ende der Welt
gestorben? Nein. Also Jurema? Die Eheleute sehen ihn nur an. Endlich spricht der Mann. Nach und nach erzählt er ihm, in seinem Haus sei es zu einer Schießerei gekommen, es habe Tote gegeben und seine Frau sei mit einem rothaarigen Ausländer geflohen. Rufino bedankt sich für ihre Gastfreundschaft und verabschiedet sich sofort.
Am nächsten Morgen erscheint die Gestalt des Spurenlesers auf einem einsamen Bergrücken. Von da aus kann er seine Hütte sehen. Er durchquert das Gehölz, in dem seine erste Begegnung mit Gall stattgefunden hat, und geht in der gleichen Gangart wie immer, einer Art Trott zwischen Laufen und Gehen, auf den Bergvorsprung zu, auf dem sein Haus steht. Seinem Gesicht sind die Spuren der langen Reise, des Mißgeschicks, der schlechten Nachrichten anzusehen. Als einziges Gepäck trägt er das Jagdmesser, das er sich vom guten Jesus ausgeliehen hat. Ein paar Meter vor seiner Hütte wird sein Blick mißtrauisch. Der Pferch ist leer, die Haustür steht offen. Doch es ist nicht der Pferch, den Rufino mit ernsten, forschenden, erstaunten Augen betrachtet, sondern der Vorplatz des Hauses, auf dem früher nicht diese zwei mit Steinen befestigten Kreuze standen. Bei seinem Eintritt ins Haus entdeckt er die Lampe, die Schüsseln, das Bett, die Hängematte, den Koffer, das Bild der Virgem da Lapa, die Töpfe und Teller, den Holzhaufen. Alles scheint da zu sein und ist sogar aufgeräumt. Wieder sieht sich Rufino um, langsam, als könnte er an den Gegenständen ablesen, was in seiner Abwesenheit geschehen ist. Er spürt die Stille, das Fehlen des Hundegebells, des Gackerns, des Schellengeläuts, der Stimme seiner Frau. Endlich geht er ein paar Schritte durchs Zimmer und beginnt alles sorgfältig zu prüfen. Als er fertig ist, sind seine Augen blutunterlaufen. Er verläßt die Hütte, schließt ohne Heftigkeit die Tür.
Er macht sich auf den Weg nach Queimadas, das unter der nun hoch stehenden Sonne in der Ferne blitzt und funkelt. Die Silhouette Rufinos verschwindet hinter einer Bergnase, taucht wieder auf, trottend zwischen bleigrauen Steinen, Kakteen, fahlgelbem Gebüsch, dem fasrigen Zaun eines Pferchs. Einehalbe Stunde später betritt er das Städtchen durch die Avenida Itapicurú und geht sie zum Hauptplatz hoch. Die Sonne sticht auf die weiß gekalkten Häuser mit den blau oder grün gestrichenen Türen. Die ersten aus der verlorenen Schlacht am Cambaio geflüchteten Soldaten sind eingetroffen: zerlumpt, fremd stehen sie in Gruppen an den Ecken, schlafen unter den Bäumen oder baden im Fluß. Der Spurenleser geht an ihnen vorbei, ohne sie anzusehen, bemerkt sie vielleicht nicht einmal, weil er nur an die Leute von Queimadas denkt: Viehtreiber mit wettergebräunter Haut, Frauen, die ihre Kinder stillen, Reiter im Aufbruch, alte Leute, die in der Sonne sitzen, herumspringende Kinder. Sie sagen guten Tag, nennen ihn auch beim Namen, und er weiß, sie werden ihm nachsehen, wenn er vorüber ist, auf ihn deuten und anfangen zu tuscheln. Mit Kopfnicken beantwortet er ihren Gruß, blickt ihnen, ohne zu lächeln, auf die Stirn, um jeden, der ihn ansprechen möchte, zu entmutigen. Er überquert den Hauptplatz, der angefüllt ist mit Sonne, Hunden, Betrieb, grüßt, weiß, welche Gerüchte, Blicke, Gesten und Gedanken er hervorruft. Ohne sich aufzuhalten, geht er zu dem kleinen Laden gegenüber der Kapelle Nossa Senhora do Rosario, an dessen Vorderfront Kerzen und Heiligenbilder aushängen. Er nimmt den Hut ab, atmet wie einer, der gleich ins Wasser springt, und tritt ein. Die Augen der alten Frau, die eben einem Kunden ein Päckchen reicht, werden bei seinem Anblick groß, ihr Gesicht hellt sich auf. Doch um ihn anzusprechen, wartet sie, bis der Käufer gegangen ist.
Der Laden ist ein Würfel mit Löchern, durch welche Sonnenzungen hereinlecken. Große und kleine Kerzen hängen an den Wänden und liegen in Reihen auf dem Verkaufstisch. Die Wände sind voll von Votivbildern und Heiligen, Kruzifixen, Marien. Rufino kniet nieder, um der alten Frau die Hand zu küssen. »Guten Tag, Mutter.« Sie macht mit knotigen Fingern das Kreuzzeichen auf seine Stirn. Es ist eine bis zum Skelett abgemagerte, verhutzelte Alte mit hartem Blick. Trotz der erstickend heißen Luft trägt sie einen Umhang, in der Hand hält sie einen großperligen Rosenkranz.
»Caifás möchte dich sprechen, er will es dir erklären«, sagt sie gepreßt, weil das Thema sie bedrückt oder weil sie keine Zähne mehr hat. »Er kommt auf den
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